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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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Inquisitor von Paris,
     meinen Vater in den Kerker werfen lassen. Ihr wisst selbst am besten, dass
     ein Jude, der einmal im Kerker der Inquisition sitzt, aus diesem niemals
     wieder freikommt. Zumal in diesen Tagen, da Menschen nach Paris strömen
     und von einer schrecklichen Seuche berichten - und uns Juden schon böse
     Blicke zuwerfen. Ich weiß sehr wohl, dass viele Bürger flüstern,
     wir würden die Brunnen der Christen vergiften. Euch aber vertraue
     ich. So gebt mir, ich flehe Euch an, Nachricht, wenn Ihr etwas findet, das
     Licht in diese dunkle Sache bringen könnte. Ich weiß, dass ich
     Schwieriges von Euch erbitte, ja, dass ich Euch geradezu anflehe,
     ungehorsam zu sein gegenüber Eurem Orden. Doch Ihr seid ein Mann nach
     dem Sinn von JHWH. Ich spüre, dass Ihr in ehrlicher Empörung den
     Mörder Eures Mitbruders verfolgt und ihn seiner gerechten Strafe zuführen,
     jedoch keine Unschuldigen im Kerker schmachten lassen wollt.
    So lege ich denn das
     Schicksal meines Vaters — und mein eigenes — in Eure Hände.
     Entdeckt in jenem Buch den einen Faden, der alles zu entwirren vermag, und
     entdeckt ihn rasch, denn die Zeit drängt! JHWH behüte Euch. Ich
     harre Eurer Antwort.
    Lea bas Nechenja, Tochter
     des Nechenja ben Isaak
     
    Ich starrte auf den Brief und
     las ihn dann ein zweites Mal. Lea bat mich darin, in der Tat, um
     Ungeheures.
    Würde ich ihren Wünschen
     nachkommen, ich liefe Gefahr, selbst zum Häretiker zu werden. Doch
     zweifelte ich nicht einen Augenblick daran, dass es für mich keinen
     anderen Weg gab, als ihrem Flehen nachzukommen.
    Also nahm ich vorsichtig das
     Buch in die Hand. Es war ein gewichtiger, wohl fast dreihundert Seiten mächtiger
     Foliant, gebunden jedoch in unscheinbares, vom Alter dunkel gewordenes
     Leder. Sein Einband war intakt, ja fast wie neu - als habe nur sehr selten
     jemand darin geblättert.
    Ich schlug das Buch auf
     — und musste mich bezwingen, nicht erstaunt auszurufen.
    Was eigentlich hatte ich
     erwartet? Ich vermag es bis heute selbst nicht genau zu sagen. Ein uraltes
     Werk der Katharer oder anderer Ketzer? Eine der rätselhaften
     Schriften der Kabbalisten? Eine andere jüdische Schrift? Ein Werk der
     Griechen oder Römer, jedenfalls aus heidnischer Zeit? Nun, es war
     nichts davon — sondern ein christliches, geachtetes, wahrhaft
     frommes Buch.
    »Der ›Liber floribus‹ des Lambert von Saint-Omer«,
     murmelte ich. Ich hatte von dem Werk und seinem Autor gehört, wiewohl
     ich es nie zuvor in Händen gehalten hatte. Lambert war ein französischer
     Kanonikus gewesen, Chorherr im Kapitel der Kathedrale zu Saint-Omer. Er
     war, wenn ich mich recht entsann, schon seit über zweihundert Jahren
     tot.
    Der »Liberfloribus« war eine nützliche Sammlung
     weltlichen Wissens, die Lambert, der ein sehr neugieriger Mann gewesen
     sein muss, am Ende seines Lebens zusammengetragen hatte. Ein Buch, in dem
     er aus der Heiligen Schrift, den Werken der Kirchenväter und den
     Schriften der Alten zitiert hatte. Darin, so hatte ich gehört, fanden
     sich Beschreibungen der Gestirne und Anleitungen zum richtigen Rechnen,
     Darstellungen von bekannten und fremden Tieren und Pflanzen und allerlei
     anderen nützlichen Wesen und Dingen. Nie jedoch hatte ich davon gehört,
     dass der »Liber
     floribus« im
     Ruch der Ketzerei stünde oder gar offiziell von der Inquisition
     verdammt worden wäre. Ja, noch nie war er irgendeinem meiner Lehrer
     so wichtig erschienen, dass er mich angehalten hätte, ihn auch nur flüchtig
     zu studieren.
    Was also mochte es sein, dass
     Heinrich von Lübeck schon nach einer kurzen Lektüre derart in
     Erregung versetzt hatte? Ich schlug die ersten Seiten auf - und staunte
     nicht schlecht. Denn zum Text gesellten sich Dutzende, Hunderte farbige
     Bilder von wahrhaft seltsamen und doch feinen Wesen. Ich erblickte eine
     kompliziert verflochtene Spirale, in deren Mitte ein Fabelwesen lauerte,
     halb Stier, halb Mensch. »Minotaurus in laberintho«, las ich. Ich sah Blüten
     — und erkannte wohl manche wieder, die Bruder Malachias und ich erst
     vor wenigen Stunden auf dem Markt gekauft hatten. Hier erfuhr ich ihre
     Namen und lernte, welche Leiden sie linderten.
    Lambert hatte auch Tiere
     beschrieben, wie man ihrer wohl kaum je im Abendland ansichtig würde:
     Ich staunte über ein Rhinozeros und ich lernte, wie ein Einhorn
     aussah, eine Hyäne, ein Cameleopardis und ein Krokodil.
    Die apokalyptischen Monster
     sah

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