In Nomine Mortis
ich, von welchen der Prophet Hiob so schauerlich gesprochen hatte:
Behemoth schritt über das Pergament, geritten vom Teufel, und
Leviathan, geritten vom Antichristen. Schaudernd blätterte ich um, so
lebensecht dünkten mich die Bilder, dass ich Angst hatte, die Bestien
könnten lebendig werden und dem Buch entspringen.
Doch nichts davon ergab für
meine Suche einen Sinn. Was hatte Heinrich von Lübeck oder —
falls Lea sich doch täuschte und das mochte ich durchaus nicht
ausschließen - was hatte Richard Helmstede mit apokalyptischen
Monstern, seltsamen Tieren und heilkräftigen Pflanzen zu schaffen? Je
mehr Seiten ich umschlug, desto ratloser, ja verzweifelter wurde ich. Eine
Darstellung der Sonne. Eine Anweisung zur Addition. Eine Beschreibung von
Bergen. Welchen Nutzen mochte sich mein toter Mitbruder davon versprochen
haben? Die Glocke läutete schon zur Vesper und ich hätte den »Liber floribus« schon beinahe zugeklappt, um ihn
unter meiner Pritsche zu verstecken, da blätterte ich noch einmal um.
Vor mir lag eine Karte der Welt.
»Mappamundi«,
murmelte ich und sah Küsten
und Meere, vom einen Rand der Welt zum anderen.
Oh, wie gerne hätte ich
sie in jenem Moment studiert, hätte mich eingeschlossen und die Welt
vergessen! Doch ich durfte das Risiko nicht eingehen, im Kloster anwesend
zu sein, jedoch nicht zur Vesper zu erscheinen. Unweigerlich hätte
ein Bruder nach mir gesehen und gefragt, ob ich mich auch wohl fühle.
Also riss ich mich vom »Liber floribus« los, wickelte ihn in Leas Tuch und
schob ihn tief unter meine Schlafstatt. Ihren Brief jedoch faltete ich
zusammen und verbarg ihn unter meiner Kutte. Dann eilte ich zur Kirche,
ein demütiger Schatten unter vielen.
*
Wie froh und doch zugleich
erschrocken war ich, da ich in der Kirche endlich wieder Meister Philippe
erblicken durfte! Der Inquisitor sah müde und erschöpft aus,
stand nahe beim Prior und nickte mir nur zu, als er meiner ansichtig
wurde. Wir waren zu weit voneinander entfernt, um sprechen zu können.
Ich freute mich, dass ihm
nichts zugestoßen war, wo immer er in den letzten Stunden gewesen
sein mochte. Zugleich fürchtete ich mich jedoch davor, dass er mir
irgendwie auf die Spur kommen könnte. Sollte ich dem Inquisitor alles
sagen? Sollte ich verraten, dass Richard Helmstede sich Seekarten zeichnen
ließ von Juden aus Spanien? Ketzerische Karten? Und sollte ich ihm
vom »Liberfloribus« im Besitz des Nechenja ben Isaak
erzählen, in dem ich soeben — mochte das noch Zufall sein? -
auch eine Weltkarte entdeckt hatte? Vielleicht hatte Lea ja recht und
Meister Philippe erkannte mit einem Blick die Spur, die zur Aufklärung
all unserer Rätsel führen würde? Doch würde er nicht
auch sofort die Spur entdecken, die von mir zu Klara Helmstede führte?
Denn natürlich würde er mich fragen, wie ich von den Seekarten
des Reeders erfahren hatte - und könnte ich Meister Philippe anlügen?
Außerdem hatte mich Lea
ausdrücklich angefleht, sie zu schützen! Selbstverständlich
wusste ich, dass die Bitte einer Jüdin ein Nichts ist im Angesicht
der Pflichten eines Inquisitors. Und doch: Ich wollte sie nicht verraten.
Also schwieg ich. Ich nickte
Meister Philippe einen kurzen Gruß zu, dann senkte ich demütig
den Blick und vermied es, während der Vesper noch ein weieres Mal zu
ihm hinüberzusehen. Dann zählte ich die Worte der Hymnen und
Gebete und maß mir so die verstreichende Zeit ab. In mir brannte
eine sengende Sehnsucht nach meiner Zelle, wo ich dieses Buch wieder
hervorzerren und in Ruhe lesen wollte! Diese Leidenschaft war kaum weniger
stark als jene Wollust, die mich noch wenige Stunden zuvor entflammt
hatte. So brannte ich und nahm schon in diesem Leben die ewigen Qualen
vorweg, die mich dermaleinst wegen all meiner Sünden noch erwarten
werden für alle Ewigkeit.
Doch so sehr mich die
Leidenschaft plagte, so bewahrte ich mir doch noch einen Rest Klugheit,
zumindest Vorsicht: Am Ende der Vesper war ich nicht der erste Mönch,
der aufstand und dem Ausgang zustrebte. Ich betete noch ein PATER noster, dann erst, als einer der Letzten,
schlich ich demütig zur Pforte der Kirche. Dort traf ich auf Meister
Philippe, der in ein leises Gespräch mit dem Ehrwürdigen Prior
vertieft war. Für einen Moment setzte mein Herz aus, doch der
Inquisitor nickte mir nur zu, segnete mich mit
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