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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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hatte Lambert von Saint-Omer eine Insel
     namens Tritonia eingezeichnet, bei Spanien die Balearics. Nördlich
     der Säulen des Herkules lag die Insel Betanica, wie der Verfasser
     England getauft hatte. Und wiederum nördlich von England lagen die
     dreiunddreißig kleinen Inseln mit Namen Orcades und noch weiter
     Gotha, das Land ewiger Kälte.
    Links, weit im Westen also,
     genau gegenüber von Europa und Afrika, lag inmitten eines Ozeans das
     Paradies — zumindest glaubte dies Lambert von Saint-Omer. Wenn auch
     die meisten Männer von Gelehrsamkeit den Garten Eden irgendwo in
     Asien vermuteten, für immer unzugänglich für die Nachfahren
     Adams und Evas. Ich wollte schon den »Liber floribus« zuklappen, um ungestört darüber
     nachzudenken, was diese Weltkarte mit dem Tod Heinrichs von Lübeck zu
     tun haben mochte - denn wiewohl sie ein ketzerisches Werk war, so fand ich
     doch nichts, das mir die Untat verständlicher gemacht hätte -,
     da zögerte ich.
    Ganz links hatte Lambert von
     Saint-Omer noch ein Land eingezeichnet, unterhalb des Paradieses. Die
     Schrift dort war verwischt, als hätte jemand erst vor kurzem mit dem
     Finger darübergestrichen. Ich beugte mich näher zum Pergament,
     hielt das Buch schließlich hoch, sodass das Sonnenlicht aus dem
     kleinen Fenster meiner Zelle genau auf die Seite fiel. Dann konnte ich den
     Namen jenes geheimnisvollen Landes lesen: terra perioeci.

 
    11
    HEILIGE UND SÜNDIGE
     OFFENBARUNGEN 
    Wie viele Stunden mag ich auf
     diese beiden Worte gestarrt haben?
    Terra perioeci. Das Land der Periöken.
     Irgendwo unterhalb des Paradieses. Der Name dieses Landes war es, den der
     sterbende Heinrich von Lübeck mit seinem eigenen Blut auf das
     staubige Straßenpflaster geschrieben hatte. Hatte er gehofft,
     dorthin zu gelangen — wenn schon nicht direkt ins Paradies, dann
     doch wenigstens in seine Nähe? Doch dieser Gedanke schien mir absurd
     zu sein, geradezu ketzerisch, zumal von einem Dominikanermönch. Wir können
     doch nur hoffen, dass ER uns in SEINER Gnade dermaleinst ins Paradies
     aufnimmt. Das Paradies oder der Ort ewiger Verdammnis, diese beiden Ziele
     allein sind es, die am Tag des Jüngsten Gerichts einer jeden Seele
     offenstehen.
    Venite benediciti patris
     mei possidete paratum vobis regnum a constitutione mundi. Discedite a me
     maledicti in ignem eternum qui paratus est dyabolo et angelis eius.
    Doch wenn es sich bei diesem
     Land um eines von dieser Welt handelte - welches mochte es sein? Wer waren
     die Periöken? Und warum sollten die letzten Gedanken eines sterbenden
     Mönches ausgerechnet ihnen gelten?                     
    Ich suchte auf der Weltkarte
     vergebens nach einem weiteren Hinweis auf dieses rätselhafte Land.
     Dann las ich den ganzen »Liber floribus«, Seite für Seite, Stunde um
     Stunde. Meine Rechte schmerzte, denn ich beschirmte mit ihr die kleine
     Kerze, auf dass so wenig Licht wie nur möglich durch den Spalt unter
     meiner Zellentür auf den Gang scheinen mochte. Meine Augen tränten.
     Ich las und las und entdeckte doch kein Wort, das mir weiterhelfen mochte.
    Die Vigilien wurden geläutet
     - ich wankte in die Kirche, sang und betete, taumelte zurück - und
     dann las ich weiter. So gingen die Laudes dahin und die Prim und draußen
     wurde es hell, also löschte ich die Kerze und las und las. Doch ich
     fand nichts.
    Zur Terz erhob ich mich mühsam.
     Mein Kopf dröhnte, Schweiß stand auf meiner glühenden
     Stirn und meine Augen waren so entzündet, dass ich alles wie durch
     einen roten Schleier sah. Schwankend stand ich in der Reihe der Mitbrüder
     — zu schwach, um den Hymnus zu singen. 
    Danach wollte ich mich zurückschleppen,
     kraftlos und verzagt, denn ich wusste mir nicht mehr zu helfen. Doch ein Mönch
     trat mir in den Weg. Meister Philippe.
    Rasch blickte ich demütig
     zu Boden, damit er mein Gesicht nicht sah, doch da war es schon zu spät.
    »Du fieberst ja, Bruder
     Ranulf!«, rief der Inquisitor besorgt. Sollte ich ihm alles
     gestehen? Welchen Moment zur Beichte sollte ich nutzen, wenn nicht diesen,
     da mir Meister Philippe selbst das Fortkommen verwehrte? Ich zögerte.
     Wäre es nicht das Einfachste, ihm den »Liber floribus« zu übergeben, auf das
     seltsame Land mit dem unheilschwangeren Namen zu deuten und dann alles
     weitere dem Inquisitor zu überlassen?
    Ich müsste nicht mehr
     nachdenken, nicht mehr grübeln, nicht mehr kämpfen. Ich könnte
     alles

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