In Nomine Mortis
loslassen, mich ausruhen. Schlafen. Und doch schwieg ich. Denn ich
wusste nicht, wie ich dem Inquisitor dies alles erklären sollte. Ich
wollte nicht, dass auch nur die Namen von Klara Helmstede oder Lea, der
Tochter des Nechenja ben Isaak, fielen. Doch welche Geschichte sollte ich
dann Philippe de Touloubre erzählen? Nicht einmal zu einer Lüge
hätte ich mich aufraffen können, denn dazu war ich zu erschöpft.
Nein, so dachte ich bei mir, ich muss erst selbst mehr wissen, bevor ich
mich offenbaren kann. Dann dachte ich gar nichts mehr.
So stand ich denn vor dem
Inquisitor, schwankend vor Schwäche, und schwieg. Willenlos ließ
ich mich von ihm und einem eilig herbeigerufenen Novizen zum Spital
geleiten, wo ich auf einer Pritsche niedersank und in einen unruhigen
Fieberschlaf fiel.
*
Ich musste viele Stunden so
gelegen haben. Als ich die Augen das erste Mal wieder öffnete, konnte
ich die helle Morgensonne wahrnehmen. Das Spital war ein hoher Raum, weiß
gekalkt und von großen, spitzbogigen Fenstern erhellt, die Licht und
Luft zur Linderung der Qualen hereinließen. In zwei Reihen entlang
eines Mittelganges waren schmale, harte Pritschen aufgestellt, die
Krankenlager. Zu beiden Seiten lagen mehrere Mitbrüder, die mit
verschiedenen Leiden ins Spital geschickt worden waren. Zu meiner Rechten
kämpfte ein alter Mönch, der aus der Bretagne bis nach Paris
geflohen war, seinen letzten Kampf. Ich hörte seinen rasselnden Atem,
doch war ich selbst zu schwach, um mich so weit zu erheben, dass ich zu
ihm hinüberblicken konnte.
Durch die rötlichen
Nebel des Fiebers nahm ich Bruder Malachias wahr, der gelegentlich nach
mir sah. Er brachte mir eine heiße Gemüsesuppe zur Stärkung
und flößte mir einen bitter schmeckenden, bräunlichen Kräutersud
ein. Nachdem ich die Kelle in einem tiefen Zug geleert hatte, fiel ich in
einen todesähnlichen Schlaf. Einmal glaubte ich auch, Meister
Philippe am Kopfende meines Bettes sitzen zu sehen.
»Sorge dich nicht,
Bruder Ranulf«, hörte ich seine Stimme. »Es gibt noch
keine neuen Spuren. Doch werden wir die Sünder finden und bestrafen.«
Vielleicht redete er tatsächlich
so beruhigend mit mir. Vielleicht war Meister Philippe aber auch gar nicht
bei mir und ich bildete mir dies alles nur ein, verwirrt vom Fieber und
zerquält von den vielen Geheimnissen, die ich inzwischen dem
Inquisitor gegenüber verborgen hielt.
»Terra perioeci«, hallte es in meinem erhitzten Schädel
wie eine magische Beschwörung. Erschrocken hielt ich mir irgendwann
den Mund zu, denn ich hatte Angst, dass ich in meinem Fieberwahn diese
Worte laut gesprochen hatte. Doch als ich mich mühsam umblickte, da
sah ich nur die Kranken zu beiden Seiten und niemanden sonst. Gegen Abend,
nach einem weiteren Teller Suppe und einem Löffel eines anderen,
weniger bitter schmeckenden Kräutersuds aus der Apotheke von Bruder
Malachias, spürte ich endlich, wie die Hitze aus meinem Kopf wich und
einer großen, gleichwohl beruhigenden Mattigkeit wich. Während
es draußen langsam dunkelte, fühlte ich mich, als hätte
ich eine große, schwere Arbeit bewältigt. Ich blickte dem
Novizen nach, der durch das Spital ging und einige Talglichter entzündete,
welche die fahlen Gesichter von uns Kranken noch weißer schimmern
ließen — so, als gehörten wir schon nicht mehr zu dieser
Welt, sondern zu jenem Reich, dessen Grenze ein jeder von uns nur einmal
überschreitet. Der rasselnde Atem neben mir ging flacher von Stunde
zu Stunde. Plötzlich wusste ich, dass der Mönch neben mir die
nun anbrechende Nacht nicht mehr überleben würde. Ich betete.
So gingen die ersten Stunden
der Nacht dahin. Ich dämmerte, mal lag ich wach, dann schlief ich
kurz und tief. Wie aus großer Ferne hörte ich die Glocke, die
zu den Vigilien rief. Ein schwaches Läuten - mir, der ich den Atem
des bretonischen Mönches hörte, schien es schon die Totenglocke
zu sein.
Irgendwann, ich vermag die
Stunde der Nacht nicht zu benennen, wurde ich plötzlich hellwach.
Regungslos lag ich auf meiner
Pritsche und lauschte. Neben mir vernahm ich das Rasseln des alten
Mitbruders, allerdings langsamer und schwächer als zuvor. Zwischen
den leisen Atemzügen hörte ich zunächst nichts, doch dann
ertönten Schritte. Dann wieder Stille. Lange lag ich so da und
horchte. Schließlich hob ich vorsichtig den Kopf. Ich war sicher,
dass auf
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