In Nomine Mortis
antwortete der Inquisitor, »würdig, langsam und im stillen
Lobpreis GOTTES.
Der Sergeant und der junge
Torwächter, dessen Schaden dieses Abenteuer nicht sein soll, werden
sich um den Vaganten kümmern und ihn gebunden dorthin führen. In
Saint-Martin-des-Champs werden wir dann die Zeit finden, uns ausführlich
mit Pierre de Grande-Rue zu unterhalten.«
Er lächelte dünn.
»Ich danke IHM fürwahr für SEINE Gnade, dass er uns
endlich jenen Mann in die Hand gegeben hat. Vielleicht, wer weiß,
gelingt es uns gar, die gute Stadt Paris doch noch vor SEINEM Zorn zu schützen
- jenem Zorn, der schon ganz Frankreich, ja das ganze Abendland, so hört
man, verheert hat.«
Ich schlug das Kreuz und
folgte dem Inquisitor. Es war ein langer Weg, für den wir wohl zwei
Stunden oder mehr brauchten. Zunächst gingen wir bis zur Porte
Saint-Honore zurück, doch betraten wir nicht die Stadt, sondern
hielten uns außerhalb der Mauer an einen staubigen Weg, der in einem
großen Bogen links von der Seine wegführte. So wanderten wir
durch Felder und Obstgärten. Weiß und rosafarben blühten
noch manche Apfel- und Birnbäume, in den meisten reiften schon rote
und gelbe Früchte zwischen den Blättern. Mich hungerte und dürstete,
doch wagte ich es selbstverständlich nicht, mir eine dieser Köstlichkeiten
zu pflücken.
Der Inquisitor, der meinen
Blick deuten konnte, lächelte mir aufmunternd zu. »Gedulde
dich, Bruder Ranulf«, sprach er. »Saint-Martin-des-Champs ist
weit mehr als nur ein Gefängnis der Kirche. Es ist ein Kloster außerhalb
der Stadtmauern - und es untersteht der Abtei von Cluny, der reichsten des
Landes. Die Brüder dort werden sich unserer annehmen. Wir werden
ausgeruht und gestärkt das Verhör des Vaganten beginnen.«
So folgte ich ihm denn durch
die Hitze und durch den Staub. Selten nur erblickten wir einen Bauern auf
den Feldern, kaum je einen Boten oder Händler auf einer der nach
Paris führenden Straßen, die wir kreuzten.
Zwei Hunde sah ich, die tot
und mit aufgeblähtem Bauch im Graben lagen, umschwirrt von schwarzen
Wolken aus Schmeißfliegen. Mir dünkten sie ein böses Omen
und wieder schlug ich das Kreuz - wiewohl hastig, damit mich der
Inquisitor nicht dabei ertappte und vielleicht über meinen
Aberglauben spottete.
Endlich gelangten wir auf die
große Rue Saint-Nicolas, die genau nordwärts aus Paris führte.
Hier lag das ummauerte Kloster Saint-Martin-des-Champs wohl einige Hundert
Schritte jenseits der Wälle der Stadt.
Wahrhaftig, der Inquisitor
hatte nicht übertrieben: Die Mauer um das Kloster wäre einer
mittleren Stadt würdig gewesen, so hoch und mächtig war sie
— dabei war sie jedoch weiß gekalkt und rein, sodass sie das
Licht reflektierte, bis mir die Augen schmerzten. Ein junger Kluniazensermönch
ließ uns ein. Meister Philippe zeigte ihm an, dass demnächst
ein Gefangener der Inquisition zu erwarten sei, und bat ihn, alle nötigen
Vorbereitungen zu treffen. Derweil sah ich mich um und staunte nicht
schlecht. Die Gebäude des Klosters lagen inmitten großer,
wohlgepflegter Kräutergärten, die betäubend dufteten. Das
Gesumm unzähliger Bienen, welche um die Blüten aller Farben
tanzten, erfüllte die Luft. Die Kirche war so groß, dass sie
wohl an die tausend Mönche aufnehmen konnte. Eine große Rosette
und viele fein gearbeitete Skulpturen zierten ihre Front; ein Glockenturm
mit glänzendem, kupferbeschlagenem Dach ragte in den Himmel und
selbst das Kreuz auf seiner Spitze war vergoldet. Zwei Novizen eilten uns
durch die Gärten entgegen, grüßten ehrerbietig und
geleiteten uns in ein kühles, helles Gästehaus. Dort wuschen sie
uns die Füße und reichten uns anschließend Obst und weißes
Brot, Käse und erquickendes, klares Brunnenwasser. Ich schloss die
Augen, hörte von irgendwoher das beruhigende Plätschern eines
Springbrunnens, lauschte dem Gesumm der Bienen und dem Gesang der Vögel
und dankte dem HERRN, dass er mir diese kleine Rast gönnte.
Ich musste in Schlummer
gefallen sein, denn irgendwann vernahm ich die Stimme von Meister
Philippe: »Mach dich bereit, Bruder Ranulf! Wir haben lange genug
geruht.«
Schuldbewusst blickte ich
mich um und erhob mich. »Wohin gehen wir?«, fragte ich, noch
schlaftrunken.
»Wir werden in den
Kerker hinabsteigen. Der Vagant ist angekommen«, antwortete
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