In Nomine Mortis
neben der Straße.«
Und tatsächlich: Kaum
hatten wir die Porte Saint-Honore durchquert, erblickten wir Pierre de
Grande-Rue, der im Schatten unter einer Ulme saß und döste.
»Da ist er!«,
rief der Sergeant — was nicht nur überflüssig war, da wir
doch alle den Vaganten schon erblickt hatten, sondern auch dumm. Denn
Pierre de Grande-Rue öffnete die Augen, kaum dass er den Ruf
vernommen hatte, sprang auf — und rannte davon. »Hinterher!«,
rief der Inquisitor. »Ewige Verdammnis droht Euch, wenn Ihr ihn
wieder entkommen lasst!«
GOTT selbst hatte uns den
jungen Wächter geschickt. Denn wir waren, nachdem wir bereits durch
ganz Paris geeilt waren, außer Atem und müde in den Beinen.
Doch der Soldat war ausgeruht und flink.
Mit großen Sprüngen
rannte er uns davon. Und ich, der ich mich keuchend mühte, sah, dass
er auch schneller war als der massige Vagant.
Die Straße war jenseits
der Stadtmauern ungepflastert. Gelber Staub wurde vom heißen
Sommerwind aufgewirbelt und verklebte uns die Augen und kratzte in der
Lunge. Doch wir ließen nicht nach. Ich dachte an Jacquette und die
schreckliche Wunde in ihrer Brust und verdoppelte meine Anstrengungen. So
schnell wie der Torwächter war ich nicht, doch schneller als der
Sergeant und selbst als Meister Philippe — und schneller als Pierre
de Grande-Rue. »Du wirst für deine Untaten büßen!«,
dachte ich und ein Zorn, der eines Christen und eines Mönches erst
recht nicht würdig ist, loderte in meiner Seele.
So eilten wir wohl einige
Hundert Schritte dahin, bis der Mann, den wir jagten, plötzlich nach
rechts von der Straße abbog. Pierre de Grande-Rue hatte sich
mehrmals nach uns umgesehen und wohl erkannt, dass wir ihm immer näher
kamen. Ich sah, dass etwas in seiner Rechten blitzte.
»Er hat ein Messer!«,
schrie ich mit letzter Kraft dem Torwächter zu, damit dieser gewarnt
war. Doch der hob im Lauf nur seine Hellebarde und rief etwas Unverständliches.
Der Vagant taumelte, dann
sprang er vom Weg hinunter in einen staubigen, roterdigen Schlund am Rand
der Straße: Wir waren in den Tuilerien, den Gruben, in denen Ziegel
aus Ton geformt und in großen, rauchenden Ofen gebrannt wurden. Wir
erblickten ein paar Arbeiter, die schweren, feuchten Ton in hölzerne
Formen pressten. Schwitzende Lastenträger kamen uns entgegen, die auf
ihren Rücken Paletten gebrannter Steine schleppten.
Und einer jener Träger
besiegelte das Schicksal des Vaganten. Denn Pierre de Grande-Rue rannte
einige Schritte weit durch die Grube, blickte sich kurz nach uns um, kam
dabei jedoch ins Stolpern— und stieß mit einem der
Ziegelschlepper zusammen. Beide Männer stürzten, wobei Dutzende
Ziegel polternd auf den Flüchtenden fielen.
Der Vagant wand sich blutend
und benommen im Staub - zu schwach, um wieder auf die Beine zu kommen.
Sein Messer lag einige Schritte neben ihm im Dreck. Er wollte noch dorthin
kriechen, um es zu ergreifen — und hätte es wohl unweigerlich
nach dem ersten von uns geschleudert, wenn der Wächter nicht
schneller gewesen wäre. Mit Riesensätzen sprang er heran, schrie
unartikuliert auf - und schlug Pierre de Grande-Rue mit dem
eisenbeschlagenen Stiel seiner Hellebarde auf den Kopf, dass der Vagant
das Bewusstsein verlor und in den Staub sank.
»Meinen Segen - und
zwei Livres Belohnung für dich, mein Sohn!«, rief der
Inquisitor keuchend, als er uns ein paar Augenblicke später erreicht
hatte. Wir alle standen außer Atem um den Vaganten. Der Sergeant
beeilte sich, das todbringende Messer an sich zu nehmen. »Fesselt
ihn, dann holt Verstärkung«, befahl Meister Philippe. »Wir
wollen ihn fortschaffen.«
»Wohin?«, fragte
der Sergeant.
»Ins Kloster
Saint-Martin-des-Champs«, kam die Antwort. »Zum Kerker der
Inquisition.«
Da bekreuzigten sich die
beiden Bewaffneten und sprachen fortan kein Wort mehr.
»Esto consentiens
adversario tuo cito dum es in via cum eo ne forte tradat te adversarius
iudici et iudex tradat te ministro et in carcerem mittaris. Amen dico tibi
non exies inde donec reddas novissimum quadrantem«, sagte Meister Philippe zu mir und
klopfte sich den Staub aus der Kutte.
»Was geschieht nun?«,
fragte ich und mühte mich, wieder zu Atem zu kommen. Mein Herz raste
- und das nicht nur wegen der Verfolgungsjagd.
»Wir werden zum Kloster
Saint-Martin-des-Champs gehen, wie es Mönchen geziemt«,
Weitere Kostenlose Bücher