In Nomine Mortis
Inquisitor.
»Den Namen kenne ich
nicht, Herr«, sagte der Gefangene eilfertig. »Ich weiß
nur, dass es ein Mönch war, der dort die Seele ausgehaucht hatte.«
»Und du bemerktest
sofort, dass er tot war?«
»Ja, er rührte
sich nicht. Ich blickte mich um, als ich sah, dass er aus einer
Messerwunde blutete, denn ich fürchtete in jenem Augenblick, dass
auch ich von demjenigen angegriffen werden könnte, der diese Untat
verübt hatte. Doch niemand zeigte sich mir, ich vernahm auch kein Geräusch.
Eine Zeit lang stand ich so
unschlüssig da und wusste nicht, was ich tun sollte. Versteht Ihr,
Herr?«, fragte er flehentlich, doch der Inquisitor starrte ihn nur
an.
»Ich wusste doch nicht,
wen ich hätte rufen sollen«, fuhr Pierre de Grande-Rue mit kläglicher
Stimme fort. »Für einen Arzt war es zu spät. Das Kloster
der Dominikaner war weit. Und wenn ein Vagant wie ich bei den Sergeanten
einen niedergestochenen Mönch gemeldet hätte, ich wäre doch
sofort in den Kerker geworfen worden!«
»In den Kerker des Prévôt
royal wärest du gekommen«, erwiderte Meister Philippe daraufhin
nüchtern. »Dafür schmachtest du nun im Kerker der
Inquisition.«
Der Vagant schluckte schwer
ob der unterschwelligen Drohung in diesen Worten. »Ich beging eine Sünde,
oh verzeiht mir Herr!«, flehte er. »Als ich bei dem Toten
stand und nicht wusste, wen ich rufen sollte, und sah, dass sich weit und
breit niemand zeigte, da wollte ich sehen, ob ich bei dem Mönch nicht
etwas holen konnte.«
»Du wolltest den toten
Mönch bestehlen?«, hielt der Inquisitor fest. Pierre de
Grande-Rue wandt sich, so weit es seine Fesseln erlaubten. »Ich
dachte, dass er die Dinge dieser Welt nun sowieso nicht mehr brauchte. Er
war ja schon ins Paradies eingegangen!« Da vernahm ich zum ersten
Mal, dass einer der beiden Folterknechte leise murrte. Mir schien, dass er
langsam die Geduld verlor. Meister Philippe jedoch zeigte sich
unbeeindruckt. »Was hast du an dich genommen?«
»Ein Buch, mehr nicht«,
antwortete der Gefangene hastig. »Es war das Erste, was ich in einer
Falte der Kutte finden konnte. Ich begann gerade erst, den Toten
abzutasten, da vernahm ich plötzlich aus einer der Seitengassen neben
Notre-Dame ein Geräusch. Furcht überkam mich - und ich eilte
davon, ohne noch einmal Hand an den Mönch gelegt zu haben.«
»Du hast kein Geld
geraubt?«, wollte der Inquisitor wissen. Der Vagant sah ihn überrascht
an. »Nein, Herr, ich habe kein Geld bei ihm gefunden. Ich hatte den
Toten ja auch kaum angefasst.«
»Und das Buch? Was ist
damit?«
»Ich weiß nicht,
was es für ein Buch ist, Herr. Ich kann nicht lesen. Doch ich hoffte,
dass ich es vielleicht für gutes Geld verkaufen mochte, also
versteckte ich es.
Dann jedoch vernahm ich, dass
Inquisitoren nach dem Mörder jenes Mönches suchten; und dass sie
sich nicht einmal scheuten, Schönfrauen zu befragen und in Tavernen
zu gehen. Freunde berichteten mir beiläufig davon, denn es kommt ja
nicht alle Tage vor, dass man Dominikaner bei den Huren und Trinkern
erblickt. Niemand ahnte zunächst, dass auch ich etwas mit dem toten Mönch
zu tun hatte, doch dann erzählte ich im Rausch irgendjemandem in
einer Taverne davon. Ich wusste sofort, dass mir nun Gefahr drohte. Also
versteckte ich mich. Gerne hätte ich auch Paris verlassen, doch wagte
ich nicht, allein zu fliehen, aus Angst vor der Krankheit, die, wie man
sich erzählt, draußen im Land wütet und gar fürchterlich
sein soll. Spielleute oder Händler oder irgendjemanden sonst, der
Paris verlassen wollte und dem ich mich hätte anschließen können,
habe ich jedoch nicht mehr getroffen.«
»Hast du an jenem
Abend, da du den toten Mönch ausgeraubt haben willst, noch eine junge
Schönfrau mit Namen Jacquette erblickt? Man ruft sie auch ›das
Täubchen‹.«
»Nein, Herr, ich bin
weggelaufen, so weit und so schnell ich konnte. Zu den Schönfrauen
bin ich in jener Nacht nicht mehr gegangen.«
»Und einen Domherrn von
Notre-Dame, hast du den vielleicht gesehen? Sein Name ist Nicolas
d'Orgemont.«
Der Vagant schüttelte
den Kopf. »Ich kenne doch keinen so hohen Herrn«, antwortete
er bestimmt. »Und ganz sicher habe ich in jener Nacht keinen Mann
der Kirche gesehen. Außer dem toten Mönch selbstverständlich.«
»Das ist also alles,
was du zu sagen hast?«,
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