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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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fragte der Inquisitor. Seine Stimme klang plötzlich
     müde.
    »Ja, Herr.« Der
     Vagant, der spürte, dass Meister Philippe nicht mit ihm zufrieden
     war, zitterte am ganzen Leibe, obwohl es im Gewölbe heißer und
     immer heißer wurde, denn hin und wieder ging einer der Folterknechte
     zum Rost und legte noch mehr Kohlen auf. »Du elender Lügner!«,
     donnerte der Inquisitor plötzlich so laut, dass uns allen der Atem
     stockte — selbst den beiden Folterknechten. Die allerdings erholten
     sich als Erste von dieser Überraschung und warfen sich einen
     wissenden Blick zu. Einer fing an, seine Hände zu massieren. Der
     andere entfachte noch mehr Glut auf dem Rost. »Du willst mir also
     sagen«, fuhr Meister Philippe fort, »dass du den unglücklichen
     Heinrich von Lübeck nur zufällig erblickt hast. Du warst auf dem
     Weg zu einer Dirne, da lag er dir im Weg. Finster war die Nacht, so
     finster, dass du den Toten zunächst mit einem Haufen Lumpen
     verwechselt hast. Doch kaum bist du näher herangetreten, da weißt
     du nicht nur unzweifelhaft, dass der Mönch tot ist, nicht einfach nur
     besinnungslos, ohnmächtig oder verletzt, nein, du weißt sogar
     genau, woran er gestorben ist: einem Messerstich! Das hast du gerade
     selbst gesagt.«
    »Ich habe schon viele
     Messerwunden gesehen!«, fuhr Pierre de Grande-Rue auf, doch seine
     Stimme klang heiser.
    »Nicht genug damit«,
     Meister Philippe hatte sich wieder beruhigt und tat, als hätte er den
     Einwurf des Gefangenen nicht vernommen. »Du willst uns weismachen,
     dass du den Toten ausrauben wolltest. Doch einen ganzen Beutel voller
     Gold- und Silbermünzen lässt du liegen. Dafür stiehlst du
     ein Buch - obwohl du nicht einmal lesen kannst!«
    »Aber das ist die
     Wahrheit!«, flehte der Vagant. »Mir blieb keine Zeit, den
     toten Mönch länger zu durchsuchen.«
    »Ja, weil diese unglückselige
     Nacht so still war, bis du plötzlich Geräusche aus einer Gasse
     vernommen haben willst. Einer Gasse, in der, wie ich Grund habe zu
     vermuten, sich in jenem Augenblick entweder der Domherr Nicolas d'Orgemont
     oder die Schönfrau Jacquette oder gar beide aufgehalten haben. Zwei
     Menschen, die du nie gesehen haben willst — vor denen du jedoch
     geflohen bist, so schnell und so weit du konntest!«
    »Es war doch so
     finster!«, stammelte der Gefangene. »Und finster ist auch die
     Aussicht für dich, verstockter Sünder«, verkündete
     der Inquisitor.
    Meister Philippe nickte den
     Folterknechten zu. »Zeigt ihm die Instrumente!«, befahl er.
    Da nahmen die beiden Männer
     eiserne Zangen zur Hand, dornengespickte Peitschen, Daumenschrauben und
     Stricke und hielten dem Gefangenen eine glühende Kohle nahe ans
     Gesicht. Pierre de Grande-Rue weitete angstvoll die Augen. »Gnade!«,
     kreischte er. »Ich habe alles gesagt, was ich zu sagen weiß!«
     Darauf seufzte Meister Philippe, schloss die Augen und betete. Da er stumm
     blieb und nur die Lippen bewegte, vermag ich nicht zu sagen, welches Gebet
     er sprach. Doch als er die Augen wieder auftat, schlug er das Kreuz.
     »HERR, schenke uns Kraft«, murmelte er. Dann blickte der
     Inquisitor die beiden Folterknechte an und nickte. »Fangt an!«
    *
    Selbst jetzt, so viele Jahre
     später, sträubt sich mir die Feder, all das niederzuschreiben,
     dessen Zeuge ich nun werden musste. Wohl hatte ich in Köln und auch
     in Paris schon gar manchen Bettler, Verbrecher oder Häretiker
     gesehen, der im Kerker geschmachtet und die Folter erduldet hatte, später
     jedoch, dank der Gnade der Richter, wieder freigelassen worden war. Ich
     hatte Narben auf der Haut gesehen, ausgerenkte Arme, ausgeschlagene Augen
     und verkrüppelte Hände. Doch hatte ich stets rasch den Blick von
     diesen Sündenmalen abgewendet. Es waren Verletzungen einer früheren
     Zeit gewesen, abscheulich anzusehen zwar, doch längst verheilt, so
     gut es eben ging.
    Nun sah ich jedoch, wie diese
     Wunden geschlagen wurden. Und ich muss gestehen, auch wenn mir die
     Schamesröte das Gesicht verbrennt, dass ich mit einem Schauder Zeuge
     wurde — einem Schauder, den nicht nur die Angst in mir hervorrief.
     Es ging eine seltsame, schreckliche Faszination aus von diesem Schauspiel
     menschlicher Qualen, von der Farbe des Blutes und vom Geräusch reißender
     Sehnen, vom Stöhnen des Gefangenen und vom Geruch verbrannter Haut.
     An Jacquette dachte ich und an Rache, wiewohl mir doch zugleich graute vor
     dem, was ich miterleben musste. Der Tisch,

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