In Nomine Mortis
und doch: Ich kam mir vor, als würde
ich Pierre de Grande-Rue im Stich lassen. Es war mir, als würde ich
meine Pflicht als Mönch und Christenmensch nicht erfüllen.
Als wir einige Schritte weit
den düsteren, unterirdischen Gang entlanggewandelt waren, hörten
wir hinter unserem Rücken einen wilden, eher einem Tier denn einem
Menschen entspringenden Schrei. Mir schauderte und ich ahnte, dass Pierre
de Grande-Rue soeben seinen ersten Fingernagel verloren hatte.
Eiligen Schrittes strebte ich
nach oben und bekümmerte mich nicht einmal mehr darum, dass ich mich
am Inquisitor vorbeidrängte. Ich wollte nur noch hinaus, an die
frische Luft und unter GOTTES gnädige Sonne.
Erst im lieblich duftenden
Garten des Klosters besann ich mich meiner Würde wieder und
verlangsamte meinen Schritt. Schamvoll blickte ich zu Boden, als der
Inquisitor, der gemessenen Ganges gewandelt war, nach einigen Augenblicken
zu mir aufgeschlossen hatte. »Verzeiht mir meine Schwäche,
Meister«, murmelte ich. Da hob Philippe de Touloubre die Hand und
segnete mich. »Es ist keine Schande, dem Anblick der Folter zu
fliehen«, tröstete er mich. »Es ist vielmehr die natürliche
Reaktion eines jeden Christenmenschen auf Qual und Blut. Nur wir
Inquisitoren dürfen unser Haupt nicht abwenden. Dies erschwert die Bürde
unseres Amtes, doch es ist eine Pflicht, die GOTT uns auferlegt hat: Wir müssen
der Hitze der Flamme standhalten, denn mit dem Feuer brennen wir die
kranken Stellen im Leib der Kirche aus, auf dass der große,
strahlende Körper der Christenheit rein und gesund bleibe.«
»Das weiß ich,
Meister«, erwiderte ich betrübt, »doch war es für
mich bislang stets nur ein Ding des abstrakten Wissens. Jetzt jedoch, da
ich die Folter nicht mehr nur in der Theorie durchdacht habe, sondern auch
in der Wirklichkeit erleben musste, jetzt, ich gestehe es, ist mein
Fleisch schwach geworden, wiewohl mein Geist nach Gerechtigkeit und
Ausmerzung der Sünden dürstet.«
»Mein junger Bruder«,
Meister Philippe ergriff meinen Arm, eine Geste der Vertraulichkeit, die
ich von ihm noch nie erleben durfte. »Mein junger Bruder«,
wiederholte er, »die Folter dient zweierlei Zwecken: Sie hält
die Mutter Kirche rein und sie öffnet selbst dem verstocktesten Sünder
den Weg zur Rettung seiner unsterblichen Seele. Sie hält die Kirche
rein, nicht nur, weil wir Häretiker und Verbrecher mit ihrer Hilfe
aufspüren. Vielmehr verhindert sie auch, dass die Inquisition und
damit die Kirche je ein ungerechtes Urteil spricht und damit selbst sündig
wird.
Denn, wie du sehr wohl weißt,
niemand kann verurteilt werden, sofern er nicht gestanden hat. Nur das
Geständnis zählt vor den Richtern dieser Welt und erst recht vor
jenem einen Richter, vor dem wir uns einst alle werden verantworten müssen.
Was aber, wenn ein Sünder trotz erdrückender Beweise gegen ihn
nicht gestehen will? Sollen wir ihn wieder freilassen? Sollen wir
wahrhaftig einen Wolf, einmal gefangen, wieder auf die Herde christlicher
Lämmer loslassen?« Ich schüttelte den Kopf. Der Inquisitor
blickte mich ernst an. »Unsere oberste Pflicht«, fuhr er fort,
»ist es, diese Herde christlicher Lämmer zu schützen.
Denke immer daran! Wir sind die DOMINI canes. Haben wir einmal einen Wolf
gestellt, dann dürfen wir ihn nicht wieder entkommen lassen.
Und doch gehen wir mit Sündern
gnädiger um als der Jäger mit dem Wolf. Denn was ist dieses
irdische Leben denn schon anderes denn ein kurzes, von Pein und Angst
gezeichnetes Jammertal vor jenem ewigen Leben, dem wir alle teilhaftig
sind? Gewiss, die Folter erhöht die Pein, die wir erdulden müssen.
Doch wie lange mag sie andauern? Ein paar Stunden, im schlimmsten Fall
vielleicht ein paar Tage. Was ist diese kurze körperliche Qual
angesichts der Ewigkeit der Höllenqual der Seele? Denn siehe, mein
junger Bruder, mit glühenden Zangen mögen wir dem Körper
Leid zufügen - doch wir öffnen damit selbst dem verstocktesten Sünder
den Weg zurück zu IHM, in dem allein unsere Hoffnung lebt.
Hätten wir jenen
Vaganten dort, dessen Schreie dich aus dem Kerker getrieben haben, nicht
gestellt und gefangen, was wäre sein Schicksal gewesen? Ihm wäre
die Folter erspart geblieben bis zum Ende seiner Tage. Dann jedoch wäre
seine sündige Seele unversöhnt in SEIN Reich eingegangen und wäre
vor SEINEN Richterstuhl gekommen! Was
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