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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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hätte ER zu Gunsten von Pierre
     de Grande-Rue in die Waagschale werfen können? Nichts!
    Doch so, Bruder Ranulf, wird
     der Vagant gestehen, früher oder später. Mehr noch: Er wird
     gestehen und bereuen - und nach seinem Geständnis wird er der
     gerechten, doch irdischen Strafe zugeführt. Wie aber wird dann die
     Seele dieses Unglückseligen in SEIN Reich eintreten? Er wird kommen
     als reuiger Sünder und als jemand, der bereits in unserer Welt Buße
     getan hat für seine Untaten. Das mag die Waagschale seiner Sünden
     anheben!
    Indem wir Pierre de
     Grande-Rue also foltern lassen, fügen wir seinem Körper Pein zu
     — doch wir retten seine Seele. Mit einigen Stunden der irdischen
     Qual öffnen wir ihm den Weg zur ewigen Seligkeit!« Mit diesen
     und vielen weiteren, wohlgesetzten Worten linderte der Inquisitor meine
     Gewissensnot. Ich dankte ihm und bat ihn noch einmal um Vergebung - welche
     er mir auch großmütig aussprach. Und doch plagten mich im
     tiefsten Innern meiner Seele Zweifel und Ängste, die ich bis heute
     nicht zu benennen vermag. Jedenfalls ergriff mich ein Schauder, als einer
     der beiden Folterknechte zu späterer Stunde im Klostergarten an uns
     herantrat, sich ehrfürchtig verneigte und nur einen kurzen,
     unheilvollen Satz sprach: »Der Vagant ist nun so weit, Ihr Herren.«
    *
    Ein Würgen überkam
     mich, als ich wieder in jenes finstere Verlies trat, das ich einige
     Stunden zuvor gleich einem Fliehenden verlassen hatte. Schon auf dem Gang
     zur Folterkammer wehte mir ein Odem aus Kot und Schweiß und
     verbranntem Fleisch entgegen, der mir schier den Atem nahm. Dann erblickte
     ich Pierre de Grande-Rue, der noch immer auf der Streckbank gefesselt lag,
     wiewohl die Folterknechte die Bänder gelockert hatten. Die Arme und
     Beine des Vaganten waren schrecklich verdreht, seine Hände - ich
     wagte nicht, sie mir genau anzusehen - glichen blutroten Klumpen. Blut war
     ihm auch aus Mund und Nase getreten und ihm in breiten Strömen bis
     auf den Körper geflossen. Der einst mächtige Brustkasten sah
     eingefallen aus wie der eines alten Mannes. Sein Blick war verschleiert,
     als er mühevoll den Kopf in unsere Richtung wandte.
    »Gnade, Ihr Herren«
     flehte er. Seine Stimme klang so schwach, dass ich ihn kaum noch verstehen
     konnte.
    Der Bader Nicolas Garmel
     stand an der Streckbank und rieb den Körper des Unholds mit stark
     nach Thymian und Wacholder riechenden Tüchern ab, die den Gefangenen
     erfrischen sollten. »Willst du nun gestehen?«, fragte Meister
     Philippe. Seine Stimme klang streng.
    Als der Vagant nickte, gebot
     mir der Inquisitor, wieder ans Schreibpult zu treten und mich bereit zu
     machen, den Bericht getreulich niederzuschreiben.
    Mit brechender Stimme —
     oft musste ihn Philippe de Touloubre ermahnen, deutlicher zu reden —
     gestand Pierre de Grande-Rue, dass er, erhitzt vom Besuch bei einer Schönfrau,
     Heinrich von Lübeck erstochen habe, als er diesen zufällig im
     Schatten von Notre-Dame getroffen hatte. Sein Motiv war die Gier nach
     Geld, denn bei der käuflichen Frau war er all seine Taler los
     geworden und suchte sich nun Ersatz zu verschaffen.
    Nach seiner grausigen Tat
     beugte er sich über Heinrich von Lübeck und begann, dessen Kutte
     zu durchsuchen. Ein Manuskript zog er zuerst hervor, denn es war der größte
     Gegenstand, den der Mönch bei sich getragen hatte. Den Geldbeutel
     konnte er allerdings nicht mehr an sich nehmen, denn bevor er weitere
     Durchsuchungen anstellen konnte, bemerkte er Jacquette und den Domherrn in
     einer Nebengasse.   
    Eilig floh Pierre de
     Grande-Rue vom Platz - nicht ohne sich die Gesichter der beiden Zeugen
     zuvor einzuprägen und sich vorzunehmen, sie so bald als möglich
     zu ermorden, um mögliche Zeugen auszuschließen. Was er denn
     auch tat.
    Den Text, den er dem toten Mönch
     geraubt hatte — und den er nicht zu lesen vermochte —,
     versteckte er in einem aufgegebenen, halb verfallenen Haus in der Rue
     Portefion, direkt neben dem Temple. Dort fänden wir es, da es bis zur
     heutigen Stunde unangetastet geblieben sei, unter der fünften
     Bodendiele nach dem Eingang, die er gelockert habe.
    Warum Heinrich von Lübeck
     in seinen letzten Momenten »Terra perioeci « geschrieben habe —
     das konnte oder wollte Pierre de Grande-Rue jedoch auch nach langer Folter
     nicht sagen. So schrieb ich denn getreulich alles Wesentliche dieses Geständnisses
     nieder und erschauderte, da ich

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