In Nomine Mortis
gezwungen war, noch einmal all der
grausigen Taten zu gedenken, die dieser Mann begangen hatte. Heiße
Trauer um Jacquette stieg in mir auf, deren zufällige Anwesenheit an
jenem düsteren Ort ihr Todesurteil gewesen war. Doch ich bezwang mich
und ließ mir keine Regung anmerken. Ich spürte, dass mich
Meister Philippe hin und wieder verstohlen beobachtete und wollte mir
keine weitere Blöße erlauben. Derweil war die Stimme des
Vaganten schwächer und schwächer geworden. Nach den letzten
Worten, die ich so getreulich mitgeschrieben hatte, brach er plötzlich
ab, keuchte vernehmlich - und fiel dann in eine tiefe Bewusstlosigkeit.
Auch als einer der Folterknechte mit einer glühenden Zange kam und
ihm damit in die Lenden brannte, stöhnte er zwar, wachte jedoch nicht
wieder auf. Nicolas Garmel eilte zu Pierre de Grande-Rue, zwang den Mund
des Gefangenen auf und flößte ihm eine durchdringend riechende,
ölige Flüssigkeit ein. Auch dies brachte allerdings keine
Besserung. Da erhob sich der Inquisitor und gebot mir, das Protokoll zu
unterschreiben und zu datieren. »Ich glaube, wir haben genug gehört.
Wir werden Pierre de Grande-Rue wieder vernehmen, wenn er sich etwas
erholt hat. Dann mag er sein Geständnis unterzeichnen und warten, bis
ein Richter ihm den Prozess macht. GOTT möge ihm gnädig sein.«
Er schlug das Kreuz über dem bewusstlosen Gefangenen. »Derweil«,
fuhr Philippe de Touloubre dann fort, »werden wir einen kurzen
Ausflug unternehmen.«
»Wohin, Meister?«,
fragte ich.
»Zur Rue Portefion!«,
befahl er. »Ich möchte sehen, was dort unter dem fünften
Bodenbrett nach der Pforte versteckt ist.«
So eilten wir Richtung Temple
- jener alten, finsteren Burg der Templer, wo einst das Herz dieses mächtigen
Ritterordens schlug und wo, so geht die Legende, ihr sagenhafter Schatz
gelagert lag. Vom Kloster Saint-Martin-des-Champs aus waren es kaum mehr
als ein paar Dutzend Schritte Richtung Norden bis zum Temple. Wir liefen
einen Weg entlang, an dem einige ärmliche Hütten standen,
umgeben von Feldern. Zu unserer Rechten schimmerte die Stadtmauer von
Paris in der dunstigen Hitze des golden heraufdämmernden Abends. Dann
bogen wir auf die Rue Portefion, die sich vom Weg, den wir zunächst
gegangen waren, nur dadurch unterschied, dass sie etwas breiter war.
Doch mussten wir hier, so
kurz vor unserem Ziel und fast schon im Schatten der mächtigen Mauern
des Temple, unsere ungeduldigen Schritte einhalten, denn eine Prozession
der Dozenten und Studenten der Universität zog an uns vorüber.
Ich weiß nicht, zu
welcher Reliquie, zu welcher jenseits der Stadtgrenzen liegenden Kirche
die wohl vierhundert oder fünfhundert Gelehrten gezogen waren, doch
wunderte ich mich gar sehr, dass selbst sie, die weisesten und klügsten
Männer von Paris, kein anderes Mittel der Hilfe gegenüber der
drohenden Krankheit mehr sahen als die Prozession. So waren, im Angesicht
der Not, die gelehrtesten Professoren und Doctores doch nicht besser als
die einfachsten Bauern, die sich auch nicht anders zu helfen wussten als
durch Fürbitte, Fasten und Prozession.
In Zweierreihen zogen sie an
Meister Philippe und mir vorüber: Die ältesten Professoren
zuvorderst, Kerzen in Händen haltend, dann die jüngeren, dann
die Studenten, getrennt nach ihren Kollegien. Alle waren sie barfuß
und alle sangen sie fromme Hymnen. Der Inquisitor segnete sie.
Ich erblickte jedoch plötzlich
einen Schatten am Wegesrand - und erbleichte. Zu beiden Seiten der
Prozession zogen Ratten durch den Straßenstaub. Fast schien es mir,
als hätten sie sich dem Zug der frommen Büßer beigestellt
in satanischem Hohn. Dann erkannte ich die gewöhnlichen Ratten mit
braunem Fell, wie man sie stets in allen Städten und Dörfern
trifft. In ihrer Mitte jedoch krochen auch die fast unterarmlangen
schwarzen Ratten mit, die doch sonst die Todfeinde der braunen Tiere sind
und die nur auf den Feldern und in den Wäldern leben. Vielen Tieren,
ob braun oder schwarz, quoll Blut aus dem Maul. Sie fürchteten die
Menschen nicht mehr — und die Professoren und Studenten, fromme
Lieder singend, schienen sie nicht zu sehen.
Ich schlug das Kreuz und flüsterte
ein PATER noster. Und selbst Meister Philippe, der
zunächst mich ansah, dann meinem Blick folgte und so ebenfalls der
Ratten gewahr wurde, tat es mir
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