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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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gezwungen war, noch einmal all der
     grausigen Taten zu gedenken, die dieser Mann begangen hatte. Heiße
     Trauer um Jacquette stieg in mir auf, deren zufällige Anwesenheit an
     jenem düsteren Ort ihr Todesurteil gewesen war. Doch ich bezwang mich
     und ließ mir keine Regung anmerken. Ich spürte, dass mich
     Meister Philippe hin und wieder verstohlen beobachtete und wollte mir
     keine weitere Blöße erlauben. Derweil war die Stimme des
     Vaganten schwächer und schwächer geworden. Nach den letzten
     Worten, die ich so getreulich mitgeschrieben hatte, brach er plötzlich
     ab, keuchte vernehmlich - und fiel dann in eine tiefe Bewusstlosigkeit.
     Auch als einer der Folterknechte mit einer glühenden Zange kam und
     ihm damit in die Lenden brannte, stöhnte er zwar, wachte jedoch nicht
     wieder auf. Nicolas Garmel eilte zu Pierre de Grande-Rue, zwang den Mund
     des Gefangenen auf und flößte ihm eine durchdringend riechende,
     ölige Flüssigkeit ein. Auch dies brachte allerdings keine
     Besserung. Da erhob sich der Inquisitor und gebot mir, das Protokoll zu
     unterschreiben und zu datieren. »Ich glaube, wir haben genug gehört.
     Wir werden Pierre de Grande-Rue wieder vernehmen, wenn er sich etwas
     erholt hat. Dann mag er sein Geständnis unterzeichnen und warten, bis
     ein Richter ihm den Prozess macht. GOTT möge ihm gnädig sein.«
     Er schlug das Kreuz über dem bewusstlosen Gefangenen. »Derweil«,
     fuhr Philippe de Touloubre dann fort, »werden wir einen kurzen
     Ausflug unternehmen.«                 
    »Wohin, Meister?«,
     fragte ich. 
    »Zur Rue Portefion!«,
     befahl er. »Ich möchte sehen, was dort unter dem fünften
     Bodenbrett nach der Pforte versteckt ist.«
    So eilten wir Richtung Temple
     - jener alten, finsteren Burg der Templer, wo einst das Herz dieses mächtigen
     Ritterordens schlug und wo, so geht die Legende, ihr sagenhafter Schatz
     gelagert lag. Vom Kloster Saint-Martin-des-Champs aus waren es kaum mehr
     als ein paar Dutzend Schritte Richtung Norden bis zum Temple. Wir liefen
     einen Weg entlang, an dem einige ärmliche Hütten standen,
     umgeben von Feldern. Zu unserer Rechten schimmerte die Stadtmauer von
     Paris in der dunstigen Hitze des golden heraufdämmernden Abends. Dann
     bogen wir auf die Rue Portefion, die sich vom Weg, den wir zunächst
     gegangen waren, nur dadurch unterschied, dass sie etwas breiter war.
    Doch mussten wir hier, so
     kurz vor unserem Ziel und fast schon im Schatten der mächtigen Mauern
     des Temple, unsere ungeduldigen Schritte einhalten, denn eine Prozession
     der Dozenten und Studenten der Universität zog an uns vorüber.
    Ich weiß nicht, zu
     welcher Reliquie, zu welcher jenseits der Stadtgrenzen liegenden Kirche
     die wohl vierhundert oder fünfhundert Gelehrten gezogen waren, doch
     wunderte ich mich gar sehr, dass selbst sie, die weisesten und klügsten
     Männer von Paris, kein anderes Mittel der Hilfe gegenüber der
     drohenden Krankheit mehr sahen als die Prozession. So waren, im Angesicht
     der Not, die gelehrtesten Professoren und Doctores doch nicht besser als
     die einfachsten Bauern, die sich auch nicht anders zu helfen wussten als
     durch Fürbitte, Fasten und Prozession.
    In Zweierreihen zogen sie an
     Meister Philippe und mir vorüber: Die ältesten Professoren
     zuvorderst, Kerzen in Händen haltend, dann die jüngeren, dann
     die Studenten, getrennt nach ihren Kollegien. Alle waren sie barfuß
     und alle sangen sie fromme Hymnen. Der Inquisitor segnete sie.
    Ich erblickte jedoch plötzlich
     einen Schatten am Wegesrand - und erbleichte. Zu beiden Seiten der
     Prozession zogen Ratten durch den Straßenstaub. Fast schien es mir,
     als hätten sie sich dem Zug der frommen Büßer beigestellt
     in satanischem Hohn. Dann erkannte ich die gewöhnlichen Ratten mit
     braunem Fell, wie man sie stets in allen Städten und Dörfern
     trifft. In ihrer Mitte jedoch krochen auch die fast unterarmlangen
     schwarzen Ratten mit, die doch sonst die Todfeinde der braunen Tiere sind
     und die nur auf den Feldern und in den Wäldern leben. Vielen Tieren,
     ob braun oder schwarz, quoll Blut aus dem Maul. Sie fürchteten die
     Menschen nicht mehr — und die Professoren und Studenten, fromme
     Lieder singend, schienen sie nicht zu sehen.
    Ich schlug das Kreuz und flüsterte
     ein PATER noster. Und selbst Meister Philippe, der
     zunächst mich ansah, dann meinem Blick folgte und so ebenfalls der
     Ratten gewahr wurde, tat es mir

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