In Nomine Mortis
gleich. »Wir wollen zum Versteck des
Vaganten eilen«, sagte er düster. »Ich glaube, unsere
Zeit wird knapp.«
*
Wir fanden ohne
Schwierigkeiten das verfallene Haus, das uns Pierre de Grande-Rue
beschrieben hatte. Die Rue Portefion führte an der Mauer des Temple
entlang, im rechten Winkel zu der Straße, auf der ich mit Bruder
Anselm von Köln kommend gen Paris gewandert war. Im Umkreis von
einigen Dutzend Schritt rund um die finstere Festung stand kein Haus
— so, als ginge von der Burg ein Fluch aus, der Fluch der Templer;
so, als müssten nicht nur der König und der Papst vor diesem
Fluch zittern, sondern auch die Bauern und Knechte, welche die Felder um
die strahlendste Stadt Frankreichs bestellten. Einzig eine Hütte
erhob sich nur wenig über das hohe, fast erntereife Getreide: kaum
mehr als ein schäbiger Verschlag, flach, mit schiefem, hinten
eingefallenem Dach, ohne Fenster, mit einer leeren Höhle in der Straßenseite
statt einer Tür. Disteln und Brombeeren hielten die morschen hölzernen
Seitenwände umklammert - und vielleicht verhinderten sie allein, dass
diese erbärmliche, wohl schon vor vielen Dutzend Jahren aufgegebene
Behausung nicht schon längst ganz zusammengestürzt war.
Kein Mensch war weit und
breit zu sehen, im dornigen Gestrüpp regte sich keine Ratte, keine
Eidechse huschte über die sonnenwarmen Wände, nicht einmal der
Gesang eines Vogels war hier zu vernehmen.
Mir kam es wie eine Mahnung
GOTTES vor, dass ER uns schließlich bis hierhin geführt hatte.
Da stand, fast zum Greifen nah, der Temple vor unseren Augen, die Festung
des einstmals mächtigsten Ritterordens der Menschheit. Und, da die
Templer legendär reich gewesen waren, das größte
Schatzhaus des Abendlandes. Den Schatz hatte niemand je gefunden, denn
sein Versteck hatte der Großmeister des häretischen Ordens
nicht einmal unter der Folter und auf dem Scheiterhaufen preisgegeben. Es
gab nicht wenige, die ihn noch immer irgendwo in den Mauern der Burg
verborgen glaubten. Doch nicht zu diesem legendenbehafteten Ort hatte ER
unsere Schritte geleitet - sondern zu einer schäbigen Hütte, die
so ärmlich war, dass nicht einmal Tiere sich in ihr verirrten. Hier
sollten wir unseren Schatz finden, nicht in der Burg der stolzen Templer.
»Ein gut gewähltes Versteck«, sagte der Inquisitor und so
etwas wie Anerkennung schwang in seiner Stimme mit.
Wir traten ein. Es dauerte
einige Augenblicke, bis meine Augen sich an das Halbdunkel in der Hütte
gewöhnt hatten. Hätte ich nicht gewusst, dass Pierre de
Grande-Rue sich diesen Ort erwählt hatte, mir wäre nicht
aufgefallen, dass er einem Menschen als Versteck diente. Ich sah zwar
sofort viele verwischte Fußspuren im dicken Staub, der den Boden
bedeckte, doch wie alt diese Spuren waren, das vermochte ich nicht zu
sagen. Ich hätte wohl gedacht, dass-sich hier vielleicht ein Bettler
oder Wandersmann für eine Nacht ein ruhiges Plätzchen gesucht hätte.
Nun aber, da ich wusste, was
der Vagant gestanden hatte, bemerkte ich, wie sorgfältig er seine
Bleibe getarnt hatte: Ein paar Armvoll altes Stroh, wie zufällig an
einer Seitenwand hingeworfen, erkannte ich als Schlafstatt, die nicht nur
leidlich bequem war, sondern von der aus ein Liegender auch durch die
Öffnung in der Hüttenfront einen Blick auf den Weg hatte, ohne
dabei selbst sofort entdeckt zu werden. Im schiefen, aus groben Blöcken
gemauerten Kamin lag Asche, die nicht mit jener feinen Staubschicht
bedeckt war, welche doch den Boden mit graubraunen Schleiern überzog
— ein Indiz dafür, dass hier vor noch nicht allzu langer Zeit
ein Feuer gebrannt haben musste. Eine morsche Truhe, deren teilweise
zerbrochene Bretter den Blick auf ihr leeres Inneres freigaben, stand nur
scheinbar zufällig fast direkt an der Türöffnung.
Der Inquisitor hatte einen
raschen Blick zum Boden geworfen und lächelte dünn. »Die
Truhe steht genau über dem fünften Bodenbalken. Wir wollen sie
ein wenig verrücken«, sagte er und packte so rasch zu, dass
ich, obwohl ich ihm beisprang, keine Hilfe mehr leisten konnte: Kaum hatte
Philippe de Touloubre die Truhe beiseite gezerrt, blickten wir auf ein
Brett, das nur lose auf dem Boden auflag. Der Inquisitor bückte sich,
hob das Holz hoch und griff in die dunkle, längliche Öffnung,
die sich darunter auftat.
»Die Wahrheit ist Preis
und Segen der Folter, Bruder
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