In Nomine Mortis
Ranulf!«, rief er triumphierend und
holte einen in dickes, braunes, schon brüchiges Leder gebundenen
Kodex hervor.
Doch als der Inquisitor den
Umschlag aufschlug, erkannte ich, dass es gar kein normales Buch war. Ich
rang erschrocken nach Luft: Es war ein Werk der Geografie.
Langsam blätterte
Meister Philippe die Seiten um. Und wiewohl ich nicht wagte, ohne eine
Aufforderung von ihm näher heranzutreten, sah ich doch, dass es zwölf
Landkarten waren, die, geschickt gefaltet, in einem Kodex zusammengebunden
waren. Ich warf flüchtige Blicke auf Länder und Meere, auf
Gebirge, Flüsse und Städte, auf verwirrende Linien und feine
Zeichnungen, auf ein Gewirr aus schwarzen, roten, grünen, gelben,
blauen und hellroten Farbflecken, die ich auf die Schnelle nicht zu deuten
vermochte.
Der Inquisitor hatte den
Kodex in der Mitte geöffnet, etwas darin geblättert und hatte
dann erst die erste Seite aufgeschlagen. Ich, der ich meine Neugier kaum
noch zu beherrschen wusste, streckte mich und wollte einen Blick auf jenes
erste Blatt erhaschen. Einen Ozean sah ich dort verzeichnet, ich konnte
allerdings nicht sehen, welches Meer es sein sollte.
Darüber prangte in großer
Schrift der Titel des Werkes, den ich ebenfalls nicht zu lesen vermochte.
Immerhin jedoch gelang es mir, den Namen des Kartografen zu entziffern,
denn der war noch größer und zudem in auffälliger roter
Schrift geschrieben. Er hieß Castorius aus Ravenna - und ich, der
ich mir doch noch vor wenigen Wochen auf meine Studien und meine
Gelehrsamkeit so viel eingebildet hatte, hatte diesen Namen noch nie
vernommen.
Ich zermarterte mir noch mein
Gehirn und suchte in meinem Gedächtnis vergebens nach irgendwelchen
Erinnerungen an diesen Gelehrten, da bemerkte ich, wie der Inquisitor
blass wurde. Die Hände von Meister Philippe zitterten, doch sagte er
kein Wort. Ich war überrascht, ja erschrocken und versuchte, noch
einen letzten Blick auf jenes erste Blatt des Kodex zu erhaschen, bevor
der Inquisitor den Band mit einer raschen, heftigen Geste zuschlug. Und da
erzitterte auch ich: Denn in jenem Ozean auf dem ersten Blatt, den ich
nicht zu deuten vermochte, da lag ein großes Land. Quer über
Berge und Flüsse hatte Castorius, der unbekannte Kartograf, diesen
Namen geschrieben: terra perioeci.
*
Meister Philippe und ich
starrten uns eine endlos lange Zeit schweigend an. Es war nicht nötig,
dass wir Worte wechselten. Wir wussten beide, was wir soeben gesehen
hatten.
Schließlich seufzte der
Inquisitor. Dann nahm er den Kodex und verstaute ihn in einer ledernen
Tasche, die er am Gürtel seiner Kutte trug. Das Werk des Castorius
schlug er nicht noch einmal auf. Enttäuscht blickte ich ihn an, doch
Meister Philippe schüttelte den Kopf.
»Wir wollen dieses Buch
nicht hier studieren«, beschied er mir entschieden. »Und nicht
jetzt. Später werden wir die Muße dazu haben. Nun wollen wir
zum Kloster Saint-Martin-des-Champs zurückeilen. Die Mönche dort
sollen Boten zum Prévôt royal und zum Bischof von Paris
entsenden und den edlen Herren sagen, dass wir den Mörder des
Heinrich von Lübeck und des Nicolas d'Orgemont gefangen und überführt
haben.
Doch vor allem wollen wir
diesen Mörder selbst noch einmal dringlich befragen, wenn es sein
muss, auch unter der Folter. Ich glaube nun nämlich nicht mehr, dass
Pierre de Grande-Rue des Lesens nicht kundig ist. Ich will noch heute
Abend wissen, was er uns über ein Land erzählen kann, das terra perioeci genannt wird.« So gingen wir
denn in ebenso unziemlicher Hast unseren Weg zurück, wie wir ihn
gekommen waren. Doch unsere Eile war vergebens: Als wir in
Saint-Martin-des-Champs anlangten, erblickten wir die beiden Folterknechte
und Nicolas Garmel im Garten. Die zwei Knechte ließen einen
Weinschlauch kreisen und blickten gleichmütig in die rote Abendsonne,
der Bader jedoch war blass und zitterte am ganzen Leib. »Das
bedeutet nichts Gutes«, flüsterte der Inquisitor, als wir der
drei Männer ansichtig wurden.
»Der Gefangene ist tot«,
meldete uns einer der Folterknechte denn auch sofort. Sein Gesicht blieb
reglos.
»Wie konnte das
geschehen?«, fragte Meister Philippe den Bader streng.
Nicolas Garmel fiel auf die
Knie, Tränen rannen über seine Wangen. »Verzeiht mir, Herr«,
flehte er. »Ich konnte den Vaganten nicht länger in
Weitere Kostenlose Bücher