In Nomine Mortis
muss Euch wohl nicht sagen, welcher Inquisitor meinen Sünden
schließlich auf die Schliche kam.«
Lange schwiegen wir beide und
hingen unseren Gedanken nach. Ich wagte nicht, Nicolas Garmel nach
Einzelheiten zu fragen. Doch schließlich ergriff der Bader von
selbst wieder das Wort. »Meister Philippe verfuhr gnädig mit
mir. Ich lag auf der Streckbank einst wie dieser Unglückliche heute.
Ich leugnete, wie Pierre de Grande-Rue geleugnet hatte. Ich wurde
gefoltert wie er — und ich gestand schließlich meine Sünden
wie er, als die Qualen meine Verstocktheit lösten.
Doch GOTT war gnädiger
mit mir als mit diesem Vaganten: Drei Tage lag ich nach meinem Geständnis
wohl auf der Schwelle des Todes, doch ER ließ mich ins Leben zurückkehren.
Dabei wollte ich dies gar nicht mehr, denn inmitten meiner Qualen und
Fieberfantasien glaubte ich, dass einem Häretiker wie mir der
Scheiterhaufen gewiss war. Das wisst Ihr doch, Bruder Ranulf, nicht wahr?
Überführte Ketzer werden verbrannt. Wer seine Untaten gesteht
— so wie ich es tat -, dem wird wenigstens die Gnade gewährt,
nicht lebenden Leibes verbrannt zu werden.«
Ich nickte, denn davon hatte
ich gehört. »Geständige Katharer wurden erwürgt,
bevor man ihre Körper den Flammen übergab. Wer jedoch bis zum
Ende verstockt blieb, der musste ohne diese Gnade auf den Scheiterhaufen.«
Nicolas Garmel nickte.
»So wünschte ich denn in jenen drei Tagen, ER möge mich
gleich in SEIN Reich holen, auf dass mir das Würgeisen und der
Scheiterhaufen erspart blieben.
Meister Philippe kam zu mir
in meine Zelle und sprach gütig mit mir. Er fragte mich, ob ich alle
meine Sünden bereute und fortan als getreuer Sohn der Mutter Kirche
leben wollte. Gehorsam bejahte ich. Da sagte er mir, dass die Inquisition
Männer wie mich benötige, denn ich sei ein des Heilens kundiger
Mann, kundig auch in allen anderen Dingen des menschlichen Körpers.
Als reuiger Sünder hätte ich in die Hölle geblickt —
und würde mich fortan viel gewissenhafter auf dem allein selig
machenden schmalen Pfad der Tugend halten als ein gewöhnlicher
Christenmensch, der nie dem Reiz der Häresie und der Qual der Folter
ausgesetzt worden war.«
Der Bader nickte und lächelte
schmerzlich. »Die Gnade, die mir Meister Philippe gewährte, war
so groß, dass ich halb ohnmächtig zu Boden sank und seine Hand
küsste. Mir, der ich den sicheren Tod vor Augen glaubte, öffnete
sich unversehens wieder eine Tür zum Leben! Zu einem Leben als Diener
der Kirche, zu einem GOTT gefälligen Leben, in dem mir Zeit gegeben
wurde, alle meine früheren Sünden durch fromme Werke wieder
auszugleichen.
So diente ich denn fortan der
Inquisition. Als Meister Philippe aus dem Süden fortging und nach
Paris kam, da nahm er mich mit. Hier bin ich zum angesehenen Bader
geworden, hier habe ich das Bürgerrecht erworben. Kein Nachbar weiß,
welche Torheiten ich einst begangen habe.
Wann immer Meister Philippe
meiner Dienste bedarf, kann er sich auf mich verlassen. Ich untersuche die
Toten, deren Schicksal die Inquisition interessiert. Ich sehe Besessene
an. Wenn ein Inquisitor vermutet, dass sich in der Tracht eines
Christenmenschen ein Jude versteckt, dann holt er mich, auf dass ich
begutachte, ob der Verdächtige beschnitten ist oder nicht. Wann immer
Meister Philippe dies befiehlt, stehe ich den Folterknechten bei, auf dass
ein Verdächtiger nicht vorzeitig ins Jenseits entflieht. Dies, ich
gestehe es, tue ich mit unruhigem Gewissen, denn meine Heilkunst dient ja
in solchen Fällen nur dazu, die Qual eines Gefangenen zu verlängern.
Doch dann sage ich mir stets, dass dieser Sünder es verdient hat zu
leiden - und dass für mich, den größten Sünder unter
allen, die Folter der Weg war zurück zu einem rechtschaffenen Leben.«
»In diesem Fall hätte
deine Kunst den Gefangenen jedoch nicht gerettet«, erwiderte ich.
»Denn selbst wenn du Pierre de Grande-Rue für heute am Leben
gehalten hättest: Seine Sünden waren dergestalt, dass er auf
jeden Fall hingerichtet worden wäre. Wer drei Menschen den Tod
bringt, der verdient selbst nichts anderes als den Tod.«
»Aber was ist, wenn
Pierre de Grande-Rue diese Untaten nicht begangen hat?«, fragte der
Bader. Seine Stimme war zu einem Hauch geworden.
Ich glaubte, mich verhört
zu haben. Entsetzt starrte ich ihn an. »Was redet Ihr da, Herr
Garmel?
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