Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
Vom Netzwerk:
Der Vagant hat alles zugegeben!« Nun zitterte der Bader
     wieder am ganzen Leib. »Ja, das stimmt«, antwortete er.
     »Und Meister Philippe, das weiß ich sehr wohl, ist
     erleichtert, in ihm den Mörder gefunden zu haben. So kann er es dem
     Prévôt royal und dem Bischof melden, denn lange hat er ja
     vergebens nach dem Sünder gesucht.
    Meister Philippe hat mir
     immer große Gnade erwiesen, sodass ich ihn nicht enttäuschen
     mag. Und doch: Es quält mein Gewissen, sodass ich es wenigstens Euch,
     einem Mann GOTTES, anvertrauen muss. Doch schwört, dass Ihr es
     niemals dem Inquisitor verraten werdet!« Mir schauderte. Doch dann
     versprach ich dem Bader, sein Geheimnis niemandem zu enthüllen.                  
    Ich habe mein Wort gehalten
     bis zu diesem Tag, da ich dies niederschreibe und alle Menschen, die jene
     Geschichte betrifft, längst in SEIN Reich eingegangen sind.
    »Erinnert Ihr Euch der
     Wunden, die Heinrich von Lübeck und die Schönfrau Jacquette
     gezeichnet hatten?«, fragte mich der Bader. Mit Schrecken dachte ich
     daran zurück und nickte. »Es waren klaffende Wunden auf der
     Brust. Messerstiche, so sagtet Ihr.«
    Nicolas Garmel nickte.
     »Ja, Bruder Ranulf, Messerstiche. Doch beide Wunden waren auf der
     rechten Seite der Brust.« Und plötzlich verstand ich.
    Mir war, als würde sich
     der Boden unter mir auftun und mich in den feurigen Schlund der Hölle
     zerren. Mir war, als könnte ich nicht mehr atmen. Mir war, als würde
     sich Pierre de Grande-Rue von der Streckbank erheben und mit zermartertem
     Finger anklagend auf mich weisen.
    »Ja«, flüsterte
     der Bader heiser, als er meines Entsetzens gewahr wurde, »das ist
     es, was mein Gewissen quält: In beiden Fällen — und auch
     bei Nicolas d'Orgemont, dessen Leiche Ihr nicht sähet, die ich jedoch
     ebenfalls untersuchte — klaffte die Wunde auf der rechten
     Brustseite.
    Wenn man nun annimmt, dass
     der Mörder jener Unglücklichen vor ihnen gestanden hatte, dann
     deutet dies darauf hin, dass der Messerstoß mit der linken Hand geführt
     worden ist. Der Unhold, den die Inquisition sucht, muss ein Linkshänder
     sein.«
    Ich sah jene Szene im
     Schlachthof wieder vor meinem geistigen Auge, da Pierre de Grande-Rue das
     Messer nach mir warf und ich glaubte, dass ich im nächsten Moment
     sterben würde. »Der Vagant jedoch war Rechtshänder«,
     murmelte ich. 
    *
    Lange saßen wir danach
     schweigend vor der Streckbank und blickten auf den Leichnam von Pierre de
     Grande-Rue. Je länger ich grübelte, desto größer
     wurde meine Überzeugung, dass dessen erstes Geständnis der
     Wahrheit entsprach - nicht das, was er uns nach der Folter gesagt hatte.
    Schließlich musste ich
     mir selbst gegenüber zugeben, dass der Vagant uns nicht belogen
     hatte: Jener Mann, dessen Qualen ich als Zeuge hatte mitansehen müssen,
     mochte ein Sünder gewesen sein. Wohl auch hatte er versucht, die
     Leiche des Heinrich von Lübeck auszurauben. Außerdem hatte er
     den gestohlenen Kodex in der Hütte beim Temple versteckt. Doch getötet
     hatte er den Mönch nicht. Und auch nicht Jacquette oder den Domherrn.
    Heiße Scham stieg in
     mir auf, da ich mich meiner Rachsucht erinnerte, als der Vagant leiden
     musste. Er wurde, wie Jesus am Kreuz, gequält, ohne schuldig zu sein.
     Und ich, ich war kaum besser als jener Schreiber, der wohl einst dem
     Hohepriester Kaiphas das Protokoll geführt hatte, da er unseren
     Heiland bezichtigte. Zur Scham kam die Angst: Denn wenn Pierre de
     Grande-Rue nicht der Mörder war — wer war es dann? Wie sollte
     ich ihn jetzt noch finden können? Jetzt, da Meister Philippe den Fall
     für gelöst erklärt hatte? Jetzt, da selbst der Bischof von
     Paris den Vaganten in einer Messe in Notre-Dame vor allem Volk zum
     Schuldigen erklären würde? Niemand würde mehr nach dem
     wahren Täter fahnden. Der Bader mochte meine Gedanken erraten haben.
     Denn plötzlich fragte er mich: »Werdet Ihr weitersuchen, Bruder
     Ranulf?« Ich blickte ihn an, dann nickte ich langsam. »Ja,
     Herr Garmel, ja, das werde ich.«
    »GOTT segne Euch,
     Bruder Ranulf«, murmelte er. »Euch auch, Herr Garmel«,
     antwortete ich. Dann beteten wir gemeinsam an der Streckbank, auf der
     Pierre de Grande-Rue sein Leben ausgehaucht hatte.
    Als wir danach zurück
     ans Tageslicht stiegen, nahm ich den Bader im Klostergarten beiseite.
     »Kein Wort darüber zu irgendjemanden!«, flüsterte
     ich ihm zu.
    Da lächelte

Weitere Kostenlose Bücher