In Nomine Mortis
Nicolas
Garmel bitter. »Bruder Ranulf«, sagte er, »dieses
Versprechen kann ich Euch nicht geben. Ich werde schweigen, doch lag ich
schon einmal auf der Streckbank. Sollte Meister Philippe mich befragen, so
werde ich ihm keine Lüge erzählen, denn ein zweites Mal will ich
nicht den Folterknechten in die Hände fallen. Ich kann Euch nur
zusagen, dass ich nicht ungefragt dieses Geheimnis ausplaudern werde.«
»Das ist immerhin
etwas. Ich danke Euch, Herr Garmel, und GOTTES Segen sei mit Euch.«
Mit diesen Worten wandte ich mich um und strebte dem Kloster in der Rue
Saint-Jacques zu, verwirrt an Geist und Seele.
*
Auf dem Weg zurück
achtete ich nicht der Menschen auf den Straßen. Und so, als spürten
sie, dass ich etwas in mir trug, das Schrecken verursachte, so, als hätte
mich die Folter, deren Zeuge ich an diesem Tag geworden war, mit einem
unguten Miasma umgeben, so machten mir alle eilig Platz.
Ich grübelte unentwegt
über das, was ich gesehen und vernommen hatte, doch meine Gedanken
glichen Raben, die in wilden Bögen um einen Toten kreisten, nicht dem
geraden Flug der Zugvögel, die ein festes Ziel vor Augen haben
— und es auch erreichen. Welche Spur mochte mich jetzt noch zu dem
Linkshänder führen, den außer mir niemand mehr suchte?
Mochte das Geld, das Heinrich von Lübeck bei sich getragen und das
der Vagant nicht gefunden hatte, der Grund für sein schreckliches
Ende gewesen sein? War es vielleicht doch mehr als ein Zufall, der das
Schicksal des Mönches mit dem von Jacquette und dem des Domherrn
verwoben hatte? Doch welche Verbindung mochte es, außer der
unaussprechlichen Sünde, zwischen einem Dominikaner und einer Schönfrau
gegeben haben?
So sehr ich alle Fragen in
meinem Geiste auch drehte und wendete, stets kam ich zu einer einzigen zurück:
Was bedeutete terra
perioecp. Zum
zweiten Mal hatte ich an diesem Tag jenen geheimnisvollen Namen gelesen.
Doch was verbarg sich hinter diesem Land? Warum mochte Heinrich von Lübeck
jene zwei Worte in seinem Todeskampf niedergeschrieben haben?
Ich blieb mitten auf der Straße
stehen, als hätte mich der Schlag getroffen. Denn plötzlich
musste ich mir eingestehen, was ich schon lange geahnt, jedoch nicht bis
ins Innerste meiner Seele gelassen hatte: Meister Philippe verschwieg mir
etwas, er wusste mehr darüber, als er mir gesagt hatte.
Der Inquisitor hatte doch
ohne Zweifel auch den rätselhaften Namen auf der Landkarte gelesen.
Er wusste doch, dass er jenes Buch in Händen hielt, mit dem unser
unglückseliger Mitbruder in jener Nacht durch die Straßen von
Paris geeilt war, in der sich sein Schicksal erfüllte. Hätte
Meister Philippe da nicht überrascht sein müssen? Verwirrt, so
wie ich es war? Hätte er nicht sofort jenes Werk, dessen Verfasser
ich nicht kannte, aufblättern und auf der Stelle nach neuen Spuren
durchsuchen müssen?
Nein, er hatte es rasch
zugeschlagen und eingesteckt - so, als wüsste er bereits, was dessen
Inhalt war. Wenn der Inquisitor das jedoch wusste, was mochte dies
bedeuten? Kannte er den wahren Grund für die letzte Botschaft des
sterbenden Mitbruders? Fürchtete er sich, mir dessen Geheimnis
anzuvertrauen? Oder misstraute er mir, weil er mehr von meinen heimlichen
Wegen wusste, als mir lieb sein konnte? Würde er sich gar, ich
erschauderte, nun, da er einen Sünder überführt glaubte,
einem anderen zuwenden: mir?
Zweifel, Fragen und Furcht
trieben mich um und verwirrten meinen Geist. So sehr war ich mit ihnen
beschäftigt, dass ich Klaras Dienerin nicht bemerkte, obwohl sie in
der Rue Saint-Jacques vor dem Kloster auf mich wartete. So sehr war ich in
meinen Gedanken gefangen, dass ich erschrocken zusammenzuckte, als sie plötzlich
an meine Seite trat und sich demütig vor mir verneigte.
Schweigend steckte sie mir
einen Pergamentbogen zu, der so oft gefaltet war, dass er in ihre Handfläche
passte. Auch ich verlor kein Wort, als sie ihn mir überreichte und
sich dann von mir abwandte und eilig die Straße hinunterstrebte,
Richtung Seine. Mein Herz schlug mir im Halse. Eben noch verwirrten mich
die Fragen um den Tod des Heinrich von Lübeck. Nun wusste ich, dass
mir Klara Helmstede einen Brief hatte zukommen lassen — und das Bild
meiner Geliebten verdrängte alle meine Sorgen aus meinem Geist. Rasch
ging ich ins Kloster und erkundigte mich beim Portarius, ob Meister
Philippe schon
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