In Nomine Mortis
ich sehen, doch nicht auf Erden, sondern im Himmel.«
»Doch wie ich mich auch
mühte, alle Spuren zu verwischen«, fuhr der Inquisitor
scheinbar ungerührt fort, »stets blieb doch etwas zurück,
das auf mich verwies. Ja, fast schien mir, dass ich, je mehr Spuren ich
verwischen wollte, nur noch mehr Spuren legte.
Auch dich ließ ich
verfolgen. Von dem Augenblick an, da ich gewahrte, dass du unsere nächtlichen
Zusammenkünfte belauschen wolltest. Ich erfuhr von den unzähligen
Augen der Inquisition, dass du den Geldwechsler Pietro Datini am Grand
Pont aufsuchtest. Wozu, das konnte ich mir denken.
Ich wusste, dass du dich mit
Lea, der Tochter des Geldwechslers trafst. Sogar das Buch, das sie dir
heimlich gab, studierte ich in deiner Zelle, als du fort warst. Und fort
warst du ja oft genug. Wir sahen, wie Jacquette mit dir sprach. Ja, du
warst es, der uns wieder auf ihre Spur gebracht hatte, nachdem sie den
Sergeanten entflohen war. Eine Zeit lang wusste ich nicht, wo sie sich
versteckt hielt, und war sehr beunruhigt darüber. Doch als die Schönfrau
zu dir kam, konnte sie uns nicht mehr entkommen.
Und dann war da noch Klara
Helmstede. Oh Ranulf, wie gerne hätte ich dich geschont! Deine Sünden,
so groß sie auch waren, hätte ich dir nachgesehen. Du hättest
gesucht und gesucht und doch nichts gefunden. Doch dann trafst du die
Gattin des Reeders - jenes Mannes, der in unserem Auftrag zum Land der
Periöken segeln soll! Oh, ich weiß, es war die Wollust, welche
dich in ihre Arme trieb. Doch konnte ich sicher sein, dass es nur das
Fleisch war, das dich zu ihr hinzog, und nicht doch auch der Geist?
Sprechen Mann und Frau in der Umarmung nicht manchmal Dinge, die sie, sind
sie Herren ihrer Sinne, niemals zu äußern wagen würden?
Als du Klara Helmstede
trafst, Bruder Ranulf, da warst du im Herzen unserer Verschwörung
angelangt. Du wusstest es vielleicht noch nicht, doch wäre es nur
noch eine Frage der Zeit gewesen, bis du alles aufgedeckt hättest.
Also schlug ich zu - und ließ dich verhaften. Auch wenn es mich
schmerzt, als hätte ich einen Sohn in den Kerker geworfen.«
Was hätte ich da
erwidern sollen? Dass mich seine Worte schmerzten, als hätte ich, zum
zweiten Mal in meinem Leben, meinen Vater verloren? Oder hätte ich
den Inquistor gar bedauern sollen? Hätte ich um Vergebung flehen müssen?
Hätte ich Verzeihung erbeten können? Ich sagte nichts
dergleichen, denn jedes Wort kam mir nun einer Lüge gleich. Es
bedeutete nichts mehr.
Meister Philippe sah plötzlich
müde aus. »Die ›Kreuz der Trave‹ wird in wenigen
Tagen lossegeln«, sagte er, dann erhob er sich und starrte auf mich,
der ich auf der Streckbank lag, hinunter. Sein Blick war so kalt, dass
mich fröstelte.
»Die Seuche hat den
Steuermann Gernot geholt. Das allein schenkt dir ein paar Tage Leben. Denn
wir müssen zunächst einen Ersatz für ihn finden. Dann wird
die Kogge Paris verlassen und das Land der Periöken ansteuern.
Ich will so wenig Aufsehen
wie möglich erregen. Also werde ich dich erst an dem Tag, da die
›Kreuz der Trave‹ Paris verlassen wird, öffentlich auf
dem Scheiterhaufen verbrennen lassen. Dies wird dem Volk ein großes
Schauspiel sein — und niemand wird auf das Schiff achten, wenn es
die Seine abwärts segelt. Du hast also noch ein paar Tage Zeit. Lebe
wohl. Sammle deine Gedanken, reinige dein Herz und bete!« Mit diesen
Worten schlug der Inquisitor das Kreuz über mir, drehte sich um und
verließ die Folterkammer, ohne mir noch einmal einen Blick zu
schenken.
*
In seiner großen Gnade
hatte Philippe de Touloubre darauf verzichtet, mich foltern zu lassen. Ja,
er hatte es nicht einmal für nötig erachtet, mich offiziell nach
meinen Sünden zu befragen, sodass ich ihm nichts gestehen musste, das
im Protokoll für die Ewigkeit verzeichnet worden wäre. Es gab
keine Zeugen unserer Unterredung. So unbegreiflich dies klingen mag, ich
war traurig darüber, dass mir die Streckbank und die glühenden
Zangen erspart geblieben waren, denn ich wollte sterben. Die Folter, so
hatte ich gehofft, würde mir die Tür öffnen, um jene Welt
aus Blut und Sünde zu verlassen. So aber löste mir der
Folterknecht schweigend die Fesseln der Streckbank und stieß mich
zurück in meine düstere Zelle. Ich setzte mich dort nieder und
haderte mit GOTT.
17
DAS GEHEIMNIS VON
NOTRE-DAME
Mit welchen
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