In Nomine Mortis
Worten vermag ich
die Verzweiflung zu beschreiben, die nun meine Seele in eiserner Klammer
hielt, .da ich Stunde um Stunde, Tag um Tag in der finsteren Zelle saß?
Allein war ich mit mir und meinen quälenden Gedanken. Hinzu kam, dass
Hunger und Durst mich mehr und mehr plagten. Wann mochte das letzte Mal
jene Klappe in der Pforte geöffnet worden sein, durch die mir der
Folterknecht hartes Brot und einen Krug Wasser gereicht hatte? War es
einen Tag her? Oder zwei? Oder gar drei?
Oh, ich Elender. Ich wollte
sterben, ja, ich sehnte mich nach der Folter, in der Hoffnung, dass sie
mich aus diesem Leben erlösen möge. Doch irgendwann raffte ich
mich auf, kroch müde bis zur Zellentür — und schlug mit
der Faust dagegen. Ich, der ich eben noch mit meinem irdischen Dasein
abgeschlossen hatte, rief um Hilfe und bettelte um Wasser und Brot. Und
irgendwann wurde ich erhört.
Ich vernahm seltsam
schlurfende, langsame Schritte, die sich meinem Verlies näherten. Mit
letzten Kräften hob ich meine Stimme - und schloss dann wieder meinen
Mund. Denn nicht die winzige Klappe wurde geöffnet, sondern unendlich
langsam, ja mühselig wurde der Schlüssel der Kerkertür
gedreht. Dann öffnete sich die Pforte. Ich sah zunächst nicht
mehr als einen schwachen Lichtschein. Irgendwo brannte eine Fackel und
warf ihr unruhiges Licht durch den unterirdischen Gang. Mochte es Tag oder
mochte es Nacht sein? Ich wusste es nicht.
Als sich meine Augen an das
flackernde Licht gewöhnt hatten, gewahrte ich einen Schatten am Boden
des Ganges: Es war einer der beiden Folterknechte. Nun lag er gekrümmt
auf den schimmelüberzogenen Steinen und stöhnte vor Qual. Er war
es, der mir mit seiner letzten Kraft die Tür geöffnet hatte.
»Bruder«, flüsterte
er mit erstickender Stimme, »habt Erbarmen mit einem armen Sünder!
Nehmt mir die Beichte ab, bevor ich sterben muss!«
Ich kniete mich zu ihm,
obwohl ich selbst vor Schwäche schwankte. »Was ist geschehen?«,
fragte ich.
»Nehmt die Fackel und
seht«, flüsterte der Folterknecht. Ich holte die Fackel, die in
einem eisernen Ring am Ende des Ganges steckte. Und fürwahr: Als ihr
Licht nun auf die bejammernswerte Gestalt fiel, da musste er mir nichts
mehr erklären: Beulen und aufgeplatzte Schwären überzogen
sein Gesicht und seinen Leib. Er blutete aus wohl drei Dutzend Wunden,
selbst aus seinen Augen troff ihm Lebenssaft. Sein Atem, der nur noch stoßweise
ging, stank schon nach Verwesung.
»Die Seuche, Bruder«,
flüsterte er, »die Seuche holt uns alle.« So blieb ich
denn bei ihm, nahm ihm die Beichte ab und sprach ihm Mut und Trost zu, auf
dass er mit leichterem Herzen in SEIN Reich gehen möge. GOTT ist mein
Zeuge: Ich blieb bei dem sterbenden Folterknecht wohl mehr als eine Stunde
lang, bis seine Seele mit einem letzten Seufzer entflohen war.
Dann erhob ich mich, schlug
das Kreuz über dem Toten — und blickte mich um. War ich frei?
Vorsichtig schlich ich bis
zum Ende des Ganges. Die Folterkammer war leer. Auch auf der Treppe, die
ins Licht führte, zeigte sich niemand. Ich sah, dass am Fuße
der Stufen ein Verschlag in den Felsen des Untergrundes gehauen war. Es
war die Stube der Folterknechte. Einen Krug Wasser sah ich dort, auch
etwas Bier, hartes Brot und eine Zwiebel. Gierig schlang ich alles in mich
hinein.
Dann, da mit meinen Kräften
auch mein Geist zu mir zurückgekommen war, blickte ich mich genauer
um. Schließlich entdeckte ich, halb unter Lumpen verborgen, einen
eisernen Ring, an dem Schlüssel hingen. Es sah aus, als habe ihn
jemand achtlos weggeworfen und dann vergessen.
Ich nahm die Schlüssel
und öffnete mit ihnen die nächstgelegene Zellentür.
Das Verlies war leer.
Ich ging zur daneben
liegenden Pforte, doch auch diese Zelle war leer. So öffnete ich denn
eine nach der anderen. Anfangs hoffte ich noch, dass ich andere Unglückliche
befreien möge, doch je mehr leere Verliese ich aufschloss, desto
tiefer sank mein Mut. Klara war, wie es Philippe de Touloubre angekündigt
hatte, schon längst nicht mehr im Kerker eingesperrt. Erst in der
letzten Zelle fand ich einen weiteren Gefangenen. Nechenja ben Isaak.
Ich erkannte den jüdischen
Geldwechsler kaum wieder. Zunächst sah ich nur eine gekrümmte
Gestalt, die im schmutzigen Stroh lag. Als ich den Mann auf den Rücken
drehte, erschrak ich gar sehr. Sein Gesicht war blutig und zerfetzt
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