In Nomine Mortis
Er war allerdings nicht mehr kräftig genug, noch etwas zu
sagen. Andere krümmten sich vor Schmerzen, doch waren ihre Sinne
schon so weit geschwunden, dass sie meiner nicht mehr gewahrten. Wieder
andere lagen schrecklich still danieder.
Da erhob sich am anderen Ende
des Dormitoriums eine Gestalt, die Scherben eines großen
Wasserkruges in der Hand. Ich griff zum Schürhaken, doch dann ließ
ich ihn wieder sinken, denn ich erkannte den Mann, der als Einziger noch
gehen konnte zwischen all den Sterbenden.
Es war Nicolas Garmel, der
Bader, der Diener der Inquisition, der ehemalige Ketzer.
»So hat Euch der
Folterknecht endlich freigegeben, Bruder Ranulf?«, begrüßte
er mich. »Ich hätte Euch schon vor Tagen die Kerkertüre
aufgesperrt, allein dieser Mann ließ mich nicht einmal in die Nähe
der Verliese kommen. Erst dann, als er selbst die Beulen im Leibe spürte,
packte ihn die Furcht. Ich riet ihm, Euch freizugeben, auf dass seine
Seele leichter sein möge.«
»Was ist geschehen,
Herr Garmel?«, fragte ich. »GOTT straft die Christenheit!«,
sagte da der Bader und fasste sich an den Kopf. Er war müde, ein
wilder Bart wucherte in seinem Gesicht, seine Haare waren fettig, seine
Haut war schrundig und grau. »Es gibt kein Heil mehr, nirgends.«
» Extra ecclesiam nulla salus« antwortete ich darauf. Da lachte
er wie irre. »Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil, wie wahr
Ihr doch sprecht, Bruder Ranulf. Doch wie sieht es denn innerhalb der
Kirche aus? Seht Euch doch um!« Er wies auf die sterbenden Mönche
im Dormitorium. »Ich bin allein«, flüsterte der Bader
dann und sah aus, als wäre er den Tränen nahe. »Ihr wisst,
warum ich oft genug hier gewesen bin im Kloster Saint-Martin-des-Champs.
Der Inquisitor ließ
mich auch vor einigen Tagen rufen. Ich sollte den jüdischen
Geldwechsler wieder zu Sinnen bringen, doch die Folter war zu schwer
gewesen. Als ich kam, stand ich schon vor einem Toten.
Als ich wieder gehen wollte,
da brach ein Bruder des Klosters mit Beulen in den Leisten zusammen. Wir
brachten ihn in die Krankenstube. Dann aber sank ein zweiter Mönch
danieder, dann ein dritter. Welche Schande, Bruder Ranulf: Als dies
geschah, da flohen die meisten anderen.«
Ich starrte ihn ungläubig
an. »Die Mönche flohen aus dem Kloster?«, fragte ich und
schüttelte den Kopf.
»Das glaubt Ihr nicht,
Bruder Ranulf? Oh, Ihr seid glücklich gewesen in Eurem Kerker, glaubt
mir! Denn in Paris, da verlassen Kinder ihre Eltern und Eltern ihre
Kinder. Die Frau verlässt ihren Mann, zeigen sich bei ihm die Male
der Seuche; und der Mann verlässt seine Frau. Ärzte fliehen ihre
Kranken, Apotheker rennen davon. Und ja, Priester weichen, als sei der
Teufel hinter ihnen her. Wenn wir denn sterben müssen, wollen wir
doch zuvor beichten.
Aber da ist niemand mehr, der
sich der armen Seelen annimmt. Wer ein Mann GOTTES ist, der ist geflohen
oder tot. Der Bischof von Paris selbst ist aus der Stadt entwichen, wohin,
das weiß man nicht.«
»So schlimm ist es?«,
murmelte ich. »Ja, so schlimm«, sagte Nicolas Garmel.
»Wohl drei Dutzend Mönche
flohen allein aus Saint-Martin-des-Champs. Diese Narren! Denn wohin mögen
sie wohl laufen? Überall lauert doch die Seuche. Nirgends ist man
mehr gefeit. So blieben denn nur einige Brüder und ich zurück,
um die Kranken zu pflegen — und einer der beiden Folterknechte.
Jener, der mir verbot, Euch zu befreien.
Es dauerte nur wenige Tage,
da war ich der einzige Mann, der sich noch auf den Beinen halten konnte.
Ich pflegte die Mönche mit meiner ganzen Kunst. Der Garten hier ist
doch reich an Heilkräutern! Das Wasser ist klar! Die Luft ist rein!
Und doch sterben mir die Brüder unter den Händen. Ich kann
nichts tun, rein gar nichts. Nicht einmal ihre schrecklichen Schmerzen
vermag ich zu lindern. Ich bin so müde.«
»Ich werde Euch helfen,
Herr Garmel«, sagte ich und wollte mich sofort an die Arbeit
begeben. Doch er gebot mir mit einer Geste Einhalt, dann schüttelte
er erschöpft das Haupt. In jenem Augenblick sah ich, dass der Bader
das Katharerkreuz an einer kleinen silbernen Kette um den Hals trug: das
Kreuz, das im Kreis stand. Er bemerkte meinen Blick und lächelte
schwach. »Ja, Bruder, ich bin wieder zum Ketzer geworden. Verzeiht
mir, doch der Inquisition und der Kirche mag ich nicht mehr vertrauen.«
»Tut, was Ihr tun müsst«,
Weitere Kostenlose Bücher