In Nomine Mortis
— ob von den Schlägen der Folterknechte oder von den Bissen der
Ratten, die ihn bereits angefressen hatten, vermochte ich nicht zu sagen.
Ohne jeden Zweifel jedoch war Nechenja ben Isaak schon seit einigen Tagen
tot. Auch über ihm schlug ich das Kreuz, obwohl er doch ein Jude war.
Doch ich wusste nun, dass nicht unser Glaube uns zu Sündern oder
Heiligen macht, sondern dass es unsere Taten sind, nach denen ER SEIN
Urteil über uns sprechen wird. Und Nechenja ben Isaak war kein Sünder
gewesen, sondern ein Mann der Gelehrsamkeit und der Demut.
Und er war Leas Vater.
Ein Schauder durchfuhr mich,
als ich an das Schicksal der jungen Jüdin dachte. Mochte sie noch
leben? Welches Schicksal drohte ihr? Ich durfte keine Zeit mehr verlieren.
Also schlich ich eilig die Treppe hoch. Das unterirdische Verlies mochte
nun als Gruft dienen für den Geldwechsler und seinen Folterknecht.
Vorsichtig blickte ich mich
um, da ich oben ins Freie trat. Es war später Nachmittag. Die Luft
war drückend und heiß. Im Westen zog wie eine drohende Wand ein
schwarzes Gewitter herauf. Kein Lufthauch regte sich. Nichts war zu hören,
nicht einmal Vogelgesang oder das entfernte Bellen eines Hundes. Nie hatte
ich die Welt so still erlebt wie in jenem Augenblick.
Bedrohlich war dies, als
lauere irgendwo ein schrecklicher Dämon und alle Lebewesen hielten
aus Furcht den Atem an, um nur ja nicht das Monster anzulocken.
Vorsichtig setzte ich meine
Schritte durch den Klostergarten von Saint-Martin-des-Champs. Unkraut
spross zwischen Thymian und Lavendel, Laub lag auf den Wegen. Seit Tagen
mochte kein Mönch mehr diesen Garten gepflegt haben. Ich duckte mich
und schritt voran. Das leise Knirschen der Kiesel auf dem Weg war das
einzige Geräusch im Kloster. Es erschien mir laut zu sein, als würde
ich meine Schritte mit Geläut und Fanfaren begleiten. Da hörte
ich noch ein Geräusch.
Ein Krachen und Scheppern,
dass ich mich fast zu Tode erschreckte. Es war ein Krug oder Teller, der
auf einen Steinboden gefallen und zersprungen war, irgendwo in einem der
Klostergebäude. Ich war also doch nicht allein.
Rasch legte ich die wenigen
Schritte zurück, die mich noch vom Kreuzgang trennten. Hier zwischen
den Säulen konnte ich mich besser verbergen als im Garten, der kaum
ein Versteck bot. Was mochte mich nun erwarten?
Vorsichtig öffnete ich
eine Pforte, die in eine der Mauern des Kreuzganges eingelassen war. Nach
wenigen Schritten stand ich in der Küche des Klosters. Niemand war zu
sehen, das Feuer im offenen Kamin, der großen Kochstelle, war schon
lange erloschen. Ein Laib Brot lag noch auf dem Tisch, doch der war grün
und weiß vom Schimmel überzogen. Rasch trat ich zum Kamin und
griff nach einem eisernen Schürhaken, den ich in der Hand wog.
Was war nur mit mir
geschehen? Ich, der Mönch, der gehorsam und keusch und friedlich zu
leben gelobt hatte, war fest entschlossen, mich mit dem Schürhaken zu
wehren, sollte mich jemand ergreifen wollen.
Nie wieder würde ich in
jenen Kerker gezerrt werden! Eher ließe ich mich im Kampf
erschlagen, als dass ich noch einmal das Verlies der Inquisition erdulden
wollte.
So bewaffnet und grimmig
entschlossen, wie es nur ein Ritter vor einer Schlacht sein kann, verließ
ich die Küche wieder und schlich durch die düsteren Fluchten des
verlassenen Klosters. Irgendwann glaubte ich, menschliche Stimmen zu hören.
Es war ein leises Wehklagen.
Weiter ging ich, Schritt für
Schritt auf eine Pforte zu, die letzte am gegenüberliegenden Ende des
Kreuzganges. Langsam drückte ich sie mit der Linken auf, Handbreit für
Handbreit, derweil ich in der erhobenen Rechten den eisernen Haken hielt
wie eine Streitkeule. Doch dann ließ ich meine Waffe wieder sinken.
Es gab hier niemanden mehr, der mich hätte bedrohen können. Ich
war ins Dormitorium getreten, den Schlafsaal des Klosters. In der Tat
lagen hier einige Mönche, doch wusste ich nicht, wer noch lebte und
wer schon gestorben war. Wohl zwei Dutzend Männer ruhten auf
dreckigem Stroh, auf ihren Bettstätten oder irgendwo auf dem
steinernen Boden, so, als wären sie dort zusammengebrochen. Blut und
Kot besudelten die Gewänder der Mönche. Es stank nach Eiter und
Exkrementen. Ein Bruder, der große, schwärzliche Flecken auf
der Stirn trug, stöhnte auf, als er mich sah, und hob flehentlich die
Hand.
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