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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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dies zu seinem Mörder führen?
    Meine Frage schien Meister
     Philippe aus seiner verwunderten Starre zu lösen. Er strich sich
     wieder über das Haupt und, ja, er lächelte. Ein Lächeln,
     ich ahnte es, vor dem schon unzählige Ketzer gezittert haben mussten.
     »Ein großes Rätsel, fürwahr«, murmelte er und
     schien eher erfreut zu sein, denn verzagt. »Doch ist es nicht das höchste
     Glück eines Inquisitors, Rätsel zu lösen?«
    Es war, als sei eine neue
     Kraft in ihn gedrungen, als er sich aufrichtete. »Komm nun, mein
     junger Bruder«, rief er. »Es wird Zeit, dass wir endlich
     unseren Zeugen befragen!«
    Wir traten zu den beiden
     Sergeanten, die sich mit dem Zeugen respektvoll ein paar Schritte weit zurückgezogen
     hatten. Der dünnere der beiden grinste, als er uns erblickte, dann
     warf er die Kapuze des Umhangs zurück, welche bis dahin das Gesicht
     des Gefesselten verhüllt hatte. Erschrocken blieb ich stehen. Es war
     eine Frau.
    »Sie heißt
     Jacquette«, sagte der feixende Sergeant, »doch jedermann kennt
     sie hier als ›La Pigeonettes das Täubchen.« Die Frau
     wagte nicht, uns anzublicken. Sie war jung, fast noch ein Mädchen -
     sechzehn Jahre alt, schätzte ich, obwohl ich in diesen Dingen
     wahrhaft keine Erfahrung hatte. Ihr braunes Haar war lang und verfilzt -
     und doch schien mir, dass es schimmerte wie polierte Bronze. Ihre Nase war
     klein, ihre Augen standen eng beieinander, ihre Wangen waren beschmutzt
     vom Straßendreck und von Tränen, die auf der Haut getrocknet
     waren - und doch hatte ich nie ein Bildnis der Maria gesehen, dessen Züge
     mir lieblicher schienen. Unter dem groben Umhang trug sie ein dunkelrotes,
     verwaschenes Wollgewand, ihre Füße waren nackt - und doch wäre
     mir keine Königin prächtiger gewandet vorgekommen als sie.
     Verwirrt war ich und wusste nicht, wohin ich meinen Blick wenden sollte.
    »Wir haben sie da drüben
     aufgelesen«, sagte der Sergeant und deutete auf eine düstere,
     kaum schulterbreite Gasse, die sich zwischen zwei verwahrlosten Fachwerkhäusern
     fast genau gegenüber des kleinen Portals von Notre-Dame öffnete,
     vor dem unser verstorbener Mitbruder lag.
    »Sie muss dort einige
     Stunden gelegen haben«, fuhr der Sergeant fort. »La Pigeonette
     behauptet, dass sie jemand niedergeschlagen habe. Doch vielleicht war sie
     auch nur betrunken. Wir haben sie jedenfalls festgehalten und«, er zögerte
     kurz, dann grinste er verschlagen und deutete uns Mönchen gegenüber
     eine Verbeugung an, »verzeiht, Ihr Brüder, wir haben sie ein
     wenig rangenommen. Nur ein paar Ohrfeigen, mehr nicht, ich schwöre es
     beim heiligen Laurentius. Dann hat sie gestanden, dass sie den Mord
     gesehen hat.«
    »Sprich, meine Tochter«,
     sagte Meister Philippe. Seine Stimme klang nüchtern, mit einer Spur
     von Mitgefühl. Ich bewunderte ihn, denn ich hätte in diesem
     Augenblick nichts herausgebracht. Doch Jacquette starrte nur auf den Boden
     und schwieg. »Ich weiß sehr wohl, dass du eine Schönfrau
     bist«, fuhr der Inquisitor fort. Er klang noch immer freundlich.
     »Und du weißt, dass schon der heilige König Ludwig den
     Dirnen verboten hat, außerhalb der ihnen zugewiesenen Häuser
     ihrem sündigen Gewerbe nachzugehen. Was hast du hier getan, nachts,
     in dieser dunklen Gasse?« Das Mädchen blieb noch immer stumm,
     doch ich sah, wie ein Zittern durch ihren Körper ging, als hätte
     sich das Straßenpflaster in Eis verwandelt.
    »Du hast getan, was Schönfrauen
     eben tun, doch außerhalb der euch vom Gesetz zugewiesenen Häuser.
     Das allein ist ein Verbrechen, für das ich dich nach Orleans schicken
     könnte«, sagte Meister Philippe jetzt streng.
    Da brach Jacquette zusammen:
     Sie warf sich auf den Boden, riss ihre gefesselten Hände so weit
     hoch, dass sie die Kutte des Inquisitors zu fassen bekam, krallte sich
     fest und küsste den Stoff. »Gnade, oh Herr, Gnade«,
     flehte sie.
    Erschrocken starrte ich sie
     an. Dixit autem ad
     illam remittuntur tibi peccata. Ich wusste damals noch nicht, dass
     die Sergeanten und die Inquisitoren in Paris Dirnen, die sie aufgriffen,
     in die Stadt Orleans schickten. Dort gab es Frauenklöster, in denen
     diese Sünderinnen wieder auf den Weg GOTTES gebracht wurden. Doch
     waren diese den Frauen, die ihre Seele dem Teufel verkauft hatten, ein größerer
     Graus als jeder Kerker.
    »Mein Vater war ein
     ehrbarer Mann«, sagte La Pigeonette nun und ihre Stimme klang so
     leise und

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