Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
Vom Netzwerk:
Der HERR sieht's nicht, und der GOTT Jakobs beachtet's
     nicht.«
    Erst in den letzten Zeilen
     fasste ich wieder Mut. Ja, ER verzeihe mir, in meiner Vermessenheit meinte
     ich, dass sie allein für mich geschrieben worden waren. Mit neuer
     Kraft las ich vor, so laut, dass sich mancher Mitbruder verstohlen zu mir
     umblickte. »Wenn der HERR mir nicht hülfe, läge ich bald
     am Orte des Schweigens. Wenn ich sprach: Mein Fuß ist gestrauchelt,
     so hielt mich, HERR, DEINE Gnade. Ich hatte viel Kummer in meinem Herzen,
     aber DEINE Tröstungen erquickten meine Seele. DU hast ja nicht
     Gemeinschaft mit dem Richterstuhl der Bösen, die das Gesetz
     missbrauchen und Unheil schaffen. Sie rotten sich zusammen wider den
     Gerechten und verurteilen unschuldig Blut. Aber der HERR ist mein Schutz,
     mein GOTT ist der Hort meiner Zuversicht. Und ER wird ihnen ihr Unrecht
     vergelten und sie um ihrer Bosheit willen vertilgen; der HERR, unser GOTT,
     wird sie vertilgen.«
    »GOTT wird die Bösen
     sicher vertilgen, so wie es geschrieben steht«, murmelte ein verhüllter
     Bruder, der neben mir schritt, als wir kurz darauf zusammen die Kirche
     verließen. »Aber SEINE Diener müssen ausgeschlafen sein,
     um IHM dabei zu helfen. Der kalte Boden vor dem Altar ist ein Platz, um zu
     IHM zu beten, aber nicht, um im Kampf gegen das Böse die Kräfte
     zu sammeln.« Der Mönch deutete ein Nicken an, dann ging er
     durch den Kreuzgang lautlos davon. Ich blickte Philippe de Touloubre nach
     und fragte mich, ob es auf dieser Welt auch nur ein Geheimnis geben
     mochte, das dem Inquisitor verborgen bleiben würde.
    *
    Am Morgen dieses Tages nahm
     mich Philippe de Touloubre beiseite. Es war die Stunde nach dem Mahl, es
     war noch dunkel draußen und still und friedlich. Wir schritten mit
     verhüllten Häuptern den Kreuzgang entlang. Der Inquisitor
     murmelte im Gehen — so leise, dass ich ihn kaum vernehmen konnte.
    »Klostermauern haben
     Ohren«, erklärte er mir und deutete ein Lächeln an, als er
     bemerkte, dass ich meinen Kopf zur Seite neigen musste, um ihn verstehen
     zu können. »Ich möchte nicht, dass im Dormitorium über
     unsere Nachforschungen noch heftiger geflüstert wird, als es die
     geschätzten Mitbrüder sowieso schon tun.«
    Dann erklärte mir der
     Inquisitor, er habe nach den Vigilien den Portarius noch einmal »brüderlich
     befragt« und tatsächlich dazu gebracht, sein Schweigegelübde
     aufzugeben. Ich konnte mir inzwischen lebhaft vorstellen, wie dies wohl
     ausgesehen haben mochte: Philippe de Touloubre, scheinbar ausgeruht und
     frisch wie nach langem Schlaf, hörte in finsterster Nacht einen verängstigten
     und übermüdeten Mitbruder aus.
    »Der Portarius gab
     schließlich — gebührend zerknirscht, selbstverständlich
     — zu, dass ihm Heinrich von Lübeck einen Schlauch Burgunderwein
     gegeben habe. Dafür sollte der Portarius ihn, wann immer es unserem
     nun leider verstorbenen Mitbruder beliebte, ohne große Fragen aus
     dem Kloster lassen. Unser Torwächter, neugierig wie jeder gute Mönch,
     behauptet, dass er weiß, wohin Heinrich von Lübeck gegangen
     ist: zu einem deutschen Händler, der in Paris weilt. Angeblich sollen
     sie sich aus ihrer Heimat kennen.«
    »Seinen Namen wusste
     der Portarius aber nicht?«, fragte ich. Philippe de Touloubre schüttelte
     den Kopf, was ich unter der Kapuze kaum erkennen konnte. »Nein«,
     antwortete er. »Es liegt an uns, den Namen herauszufinden —
     und dem Kaufmann dann einen Besuch abzustatten. Wir wollen uns nun eilen.«
    »Wohin gehen wir?«,
     fragte ich ratlos.
    »Zum Prévôt
     royal«, antwortete der Inquisitor. »Ihm unterstehen alle
     Wachen der Stadt. Vielleicht wird er es wissen. Ganz sicher wird er
     unseren Besuch erwarten, denn er weiß, dass wir den Tod des Mönches
     untersuchen. Eigentlich wäre es seine Aufgabe, den Mörder zu
     finden, denn die Tat fand ja auf städtischem Boden statt.«
    »Hätten wir ihn
     dann nicht sofort aufsuchen sollen?«, erdreistete ich mich zu
     fragen.
    Philippe de Touloubre lächelte.
     »Wir wollen ihm zeigen, wie wichtig wir ihn nehmen«, erwiderte
     er.
    *
    Als wir das Kloster verließen,
     sah ich mich überrascht um. Allerorten, so schien mir, waren die Häuser
     geschmückt: Eichen-, Buchen- und Birkenzweige waren mehr oder weniger
     kunstvoll um viele Hauseingänge gewunden.
    Philippe de Touloubre
     bemerkte meinen Blick und lächelte nachsichtig. »Es ist
     Maientag«, sagte er. »Ein Tag, der

Weitere Kostenlose Bücher