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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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dir und mir nichts
     bedeutet, wohl aber vielen Jünglingen in Paris. Sie sind des Nachts
     in den Bois de Boulogne und andere Wälder gezogen, um frisches Grün
     zu schneiden für ihre Angebeteten. Dies winden sie dann zum Zeichen
     ihrer Zuneigung um die Hauseingänge ihrer Liebsten. Dieser Brauch,
     befürchte ich, mag auf heidnische Zeiten zurückgehen. Und ich
     befürchte noch viel mehr, nämlich dass mancher Jüngling
     seiner Angebeteten, aber noch nicht Angetrauten, nicht nur in keuscher
     Liebe zugetan ist. Nur zu oft wird das frische Grün weniger Zeichen
     reiner Liebe sein als Symbol des Triumphes der Sünde, denn die
     Wollust war zu Gast in den geschmückten Häusern. Doch der Kampf
     gegen diese Sünde muss Sache unserer Brüder sein, die an
     Sonntagen predigen und mit der Hölle und ihren Qualen drohen. Wir
     Inquisitoren müssen uns finstereren, doch glücklicherweise auch
     weniger häufig vorkommenden Sünden stellen.«
    Philippe de Touloubre hatte,
     wie immer, Recht. Doch als wir die Straßen Richtung Seine
     hinunterschritten, warf ich immer wieder verstohlene Blicke auf die
     Zweige. Ich konnte nicht anders: Ich versuchte, mir auszumalen, was wohl
     in der vorangegangenen Nacht hinter den geschmückten Mauern
     vorgegangen sein mochte. Unweigerlich kam mir ein Bild in den Kopf, ein
     Bild von einer jungen Straßendirne, die in Furcht war vor der
     Inquisition. Oh, wie sündigte ich im Geiste! Wir überquerten die
     Seine und die Cite, bis wir am jenseitigen Ufer angelangt waren. Dort
     wandten wir uns nach links und gingen die Rue Saint-Honore entlang, wo
     sich zu dieser frühen Stunde schon die Fuhrwerke der Händler drängten
     und die Karren der Bauern, auf denen die Landleute Rüben und
     Feuerholz zu den Märkten brachten. Vor allem aber duftete die Rue
     Saint-Honore wie keine andere Straße von Paris - denn in den Häusern
     zu beiden Seiten der Straße standen, dicht gedrängt wie
     Landsknechte vor einer Schlacht, die Backstuben der Stadt. Mochte es
     anderswo nach Kot, Kohlstrünken und wilden Schweinen stinken, so
     waren hier die üblichen Miasmen der Stadt überlagert von einem
     betäubenden Duft nach weißem Brot und Blätterteig, nach
     Pastetenrollen, mürbem Gebäck und Torten.
    Mein Bauch, der vor jenen
     Tagen in Paris bloß das dunkle Klosterbrot kannte, zog sich
     zusammen, mein Mund wurde mir wässrig - und nach der ersten Todsünde,
     der Wollust im Geiste, beging ich an jenem Morgen schon die zweite: die
     der Völlerei im Geiste. Mit knurrendem Magen und beschämt
     gesenktem Blick schritt ich hinter Philippe de Touloubre einher, vorbei an
     den Backstuben, wo Diener, Mägde und Bürgersfrauen aus und ein
     gingen, runde Brote unter den Armen, die in der frischen Morgenluft noch
     dampften. Manchmal konnte ich durch die geöffneten Verschläge
     einen raschen Blick erhaschen auf Backöfen, in denen Holzkohlen glühten,
     und auf hölzerne Regale, auf denen kleine, tellerförmige Kuchen
     zu kunstvollen Türmen aufgebaut waren.   
    Endlich, es kam mir wie eine
     kleine Ewigkeit vor, obgleich wir nur ein paar Dutzend Schritte gegangen
     waren, verflüchtigte sich der verführerische Duft und ich roch
     wieder den Gestank und die Pestilenz von Paris, was mich an die
     Endlichkeit unseres Daseins und den Schmutz unserer Sünden erinnerte.
    Wir standen vor einem
     wuchtigen Bau — halb Patrizierhaus, halb Burg— mit schmalen,
     hohen Fenstern und einer großen Tür in der Front, deren mächtige,
     eisenbeschlagene Flügel weit geöffnet waren. Davor allerdings
     standen zwei Sergeanten de la Douzaine und hatten die Hellebarden
     gekreuzt.                  
    Als sie uns erblickten, hoben
     sie ihre Waffen, grüßten respektvoll und ließen uns ohne
     weitere Fragen passieren. Wir gelangten auf einen engen, düsteren
     Innenhof.
    »Wo sind wir?«,
     fragte ich. Mir schien dieser Ort bedrückend zu sein, finster,
     bedrohlich.
    »Im Grand Châtelet«,
     antwortete der Inquisitor knapp und schritt zu einer steinernen Treppe,
     die auf eine Galerie im ersten Obergeschoss führte.
    Ich musste in diesem Moment
     an unseren Herrn Jesus Christus denken, wie er vor Pontius Pilatus geführt
     wurde. So düster, glaubte ich, musste der Palast ausgesehen haben, in
     dem der Prokurator über den Messias zu Gericht gesessen und später
     seine Hände in Unschuld gewaschen hatte. Et Pilatus adiudicavit fieri
     petitionem eorum dimisit autem Ulis eum qui propter

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