In Nomine Mortis
war niemand. Und selbst, als ich all
meinen Mut zusammengenommen hatte und den Gang entlangschlich, welcher zu
den Zellen des Priors, Meister Philippes und anderer hochgestellter Brüder
führte, war meine Beherztheit umsonst, denn auch hier war es dunkel
und still.
So spukte ich denn im Kloster
herum, als wäre ich selbst eine verlorene Seele, bis es Zeit wurde für
die Nocturnes. Unauffällig reihte ich mich in die Kette der Mönche
ein und schritt in die Kirche - mit Augenlidern und Beinen schwer wie Blei
vor Müdigkeit, doch um nichts weiser als zuvor.
*
Am nächsten Morgen nahm
mich Meister Philippe nach dem Mahl beiseite und lud mich ein, mit ihm im
Kreuzgang zu wandeln. Langsam schritten wir um das Geviert. Licht fiel in
den Hof, der Brunnen leuchtete, zwischen den Säulen, welche den
Kreuzgang trugen, glänzte die Luft wie goldene Schleier. Doch es war
noch kühl zu dieser frühen Stunde und fröstelnd verkroch
ich mich in meiner Kutte, schlug die Kapuze hoch und schlang meine Arme
ineinander. Der Inquisitor lächelte mich nachsichtig an. »Verzeih
mir, mein junger Bruder«, hub er an, »du hast den langen,
beschwerlichen Weg von den deutschen Landen bis nach Paris unternommen.
Und hier bist du nun, statt an der Universität zu studieren, von
morgens bis abends auf den Beinen, um einen finsteren Sünder zu
jagen. Ich war etwas gedankenlos in meinem Eifer, das Böse zur
Strecke zu bringen. Nicolas Garmel hat Heinrich von Lübeck
aufgebahrt, heute Abend wollen wir ihn in geweihter Erde bestatten als Märtyrer
seines Glaubens. Zuvor jedoch möchte ich vom Bader wissen, ob ihm,
der den Toten entkleidet und gewaschen hat, vielleicht noch etwas
aufgefallen sein mag.« Er deutete auf mich. »Du jedoch ruhst
dich aus. Erstens schickt es sich nicht für einen jungen Mönch,
das Fleisch zu betrachten, nicht einmal das eines toten Mitbruders. Und
zweitens sollst du einen Tag haben, um zu Kräften zu kommen. Die Jagd
nach dem Unhold wird länger dauern, als der Prior und ich zunächst
gedacht hatten. Du wirst wohl noch viele Tage mit mir durch Paris
streifen, bevor du endlich die Universität betreten darfst. Also
nutze diesen Tag, um Seele und Leib zu sammeln.«
Ich hätte ihm gerne
widersprochen, denn längst hatte mich die Neugier gepackt. Die Jagd
nach dem Sünder schien mir weit spannender und GOTT gefälliger
zu sein als das Studium uralter Folianten - auch wenn ich über eine
solche Aussage vor ein paar Tagen noch heftig gelacht hätte. Doch am
Tonfall des Inquisitors erkannte ich, dass mein Flehen nichts nützen
würde. Ich verneigte mich deshalb demütig und murmelte
Dankesworte.
Doch wo eine Sünde ist,
da sind die anderen nicht weit. Nicht nur hatte ich mich im Geiste längst
mit der Sünde der Wollust befleckt, auch Falschheit und Hochmut bemächtigten
sich nun meiner. Ich dachte gar nicht daran, der Anweisung von Meister
Philippe Folge zu leisten. Warum, so sagte ich mir, sollte ich im Kloster
ausharren, wenn irgendwo auf den Straßen von Paris ein Mann
herumlief, dessen Seele verdammt war? War nicht auch Faulheit eine der
Todsünden? Würde ER es gerne sehen, dass ich untätig herumsäße,
während der ältere Inquisitor die beschwerlichen Untersuchungen
allein auf sich nahm?
So redete ich mir selbst Mut
zu - wie jeder Narr, der bereit ist, sehenden Auges in sein Unglück
zu rennen.
Ich wartete, ins Gebet
versunken, in der Kirche, bis ich sicher war, dass Philippe de Touloubre
das Kloster verlassen hatte. Viele meiner Mitbrüder beugten im
Skriptorium oder in der Bibliothek ihre Häupter über heiligen
Schriften und hatten keinen Blick für das, was außerhalb der
Mauern ihrer Räume geschah. Ein paar ältere Mönche und die
Novizen harkten den Kies im Kreuzgang und arbeiteten im Kräutergarten
oder in der Küche.
Doch wir Dominikaner beschränken
uns ja nicht auf das klösterliche Leben. Brüder, denen GOTT in
besonderem Maße die Gabe der Rede geschenkt hat, gehen hinaus in die
Welt und predigen SEIN Wort zu den Menschen, wie Jesus es einst getan hat.
So gingen auch im Kloster an der Rue Saint-Jacques einige Brüder,
manche allein, andere in kleinen Gruppen, auf die Straße und
strebten dort verschiedenen Kirchen und Plätzen zu, an denen sie SEIN
Wort verkünden wollten.
Ich nahm all meinen Mut
zusammen, hüllte mich tief in meine Kapuze — und schritt dann
mit der
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