In Nomine Mortis
Am Auffälligsten war jedoch seine Nase: Sie war lang,
leicht nach rechts gebogen und von Wucherungen entstellt. Sie allein zerstörte
Ebenmaß und Schönheit seiner Züge.
Ich zwang mich, nicht auf
seine entstellende Nase zu starren, als sich der Geldwechsler mit einer
eleganten Bewegung erhob, die Urkunde zusammenrollte, sich formvollendet
verbeugte und mich höflich begrüßte.
»Womit kann ich Euch
dienen?«, fragte er. Sein Französisch hatte denselben Akzent
wie das des jungen Mannes, der sich, kaum dass wir eingetreten waren, auch
schon wieder geräuschlos zurückgezogen hatte. Seine Stimme klang
hoch und gepresst - eine Folge der Wucherungen, die ihm den Atem nahmen,
vermutete ich. Zugleich bot er mir mit einer Geste einen Platz an.
Ich nickte dankend und nahm
auf einem der hochlehnigen Stühle Platz. Nie zuvor in meinem Leben
hatte ich auf einem so bequemen Stuhl gesessen, doch bemühte ich
mich, mir die angenehme Freude, die mich darob erfüllte, nicht
anmerken zu lassen. Unterwegs hatte ich mir den Kopf zermartert, welche
Geschichte ich dem Geldwechsler auftischen sollte, um mein Anliegen zu
verschleiern. Doch schließlich beschloss ich, zu meinen vielen Sünden
nicht auch noch die der Lüge hinzuzufügen. Außerdem fürchtete
ich, dass ein Geldwechsler, erfahren in Dingen dieser Welt, mein Lügengespinst
durchschauen könnte. Also blieb ich bei der Wahrheit. »Mein
Name ist Ranulf Higden«, hub ich an. »Ich diene dem Inquisitor
Meister Philippe de Touloubre. Wir untersuchen den Fall unseres so
tragisch dahingeschiedenen Mitbruders Heinrich von Lübeck. Ihr habt
davon gehört?«
Pietro Datini blickte mich
aufmerksam an, dann nickte er. Kein Wort kam über seine Lippen, seine
Züge verrieten nichts: weder Interesse, noch Neugier, noch Entsetzen,
Abscheu, Trauer oder sonst eine Reaktion, die man doch von einem
Christenmenschen erwarten mochte.
»Wir haben bei Heinrich
von Lübeck einen Beutel mit Münzen gefunden. Nun fragen wir uns,
wo die wohl herkommen mögen.« Dann beschrieb ich dem
Geldwechsler möglichst genau die alten, doch wenig benutzten Gold-
und Silberstücke, die der Tote bei sich gehabt hatte.
»Wir Mönche sind
arm«, fuhr ich fort. »Heinrich von Lübeck hat dieses Geld
auch nicht von unserem Orden bekommen, um dafür irgendetwas zu
kaufen. Wir wissen weder, wie er in den Besitz eines solchen Vermögens
gelangte, noch, ob und — falls ja — wofür er es hätte
ausgeben wollen. Da dachte ich mir, dass vielleicht ein so erfahrener und
angesehener Geldwechsler wie Ihr, Herr Datini, etwas gehört habe.«
»Was sollte ich denn
gehört haben?«, fragte mich der Geldwechsler. Doch in seiner
Stimme lag kein Spott, sondern auf einmal echtes Interesse.
»Nun«, ich wusste
nicht recht weiter, sprach jedoch rasch, da Datini meine Ratlosigkeit
nicht bemerken sollte, »das Geld ist doch euer Geschäft. Hört
Ihr da keine Gerüchte? Spricht es sich nicht in euren Kreisen herum,
wenn da jemand Dutzende, vielleicht Hunderte Gold- und Silbermünzen
hat? Sie vielleicht einzahlen will? Oder damit etwas kaufen möchte?
Ein Mönch zumal — und noch dazu einer, der erst seit ein paar
Tagen in Paris weilt?«
»Wäre Heinrich von
Lübeck mit so einem Vermögen zu einem Geldwechsler gegangen, ich
hätte davon gehört. Nicht nur, wenn es sich dabei um einen
Geldwechsler in Paris handelte, sondern um irgendeinen Geldwechsler im
Abendland«, antwortete Datini bestimmt. »Es sei denn …«
Er schien plötzlich nachdenklich zu werden. »Es sei denn was?«,
hakte ich nach, plötzlich erregt wie ein Jäger, der einen Hirsch
im Unterholz erspäht.
»Es sei denn, er hat es
von einem Juden«, antwortete Datini. Bevor ich empört
aufspringen konnte, beschwichtigte er mich mit einer Handbewegung. »Verzeiht,
Bruder, ich weiß, dass es ungehörig ist, einen Dominikaner auch
nur mit einem Satz in die Nähe eines Juden zu rücken, doch will
ich es Euch erklären: Geld — große Summen zumindest, wie
Heinrich von Lübeck sie bei sich getragen hatte - bekommt ihr im
Abendland von einigen ehrbaren christlichen Geldwechslerhäusern. Von
angesehenen Häusern in Florenz und in der Lombardei, von den Fuggern
und Welsern in deutschen Landen, von einigen Herren in Flandern.
Wir mögen Rivalen sein
in geschäftlichen Dingen, doch«, und hier lächelte Datini,
»letztlich gibt es weniger große
Weitere Kostenlose Bücher