In Nomine Mortis
vielleicht nicht an der Seele, gesund
waren, verwehrten ihnen die Mönche, die hier Dienst taten, energisch
den Zutritt.
Ein paar Schritte hinter dem
Hotel Dieu lag das andere Ufer der Insel. Meister Philippe führte
mich ein Stück weit nach Osten, zur Spitze der Cite, die gegen die
Strömung des Flusses wies. Ich erblickte von dort aus schon die
beiden unbewohnten Eilande Ile-aux-Vaches und Ile-de-Notre-Dame, die wohl
einige hundert Schritt stromauf in der Seine lagen. Sie trugen Ginster und
Eiben, Schilf und kleine, versumpfte Weiden, aber kein einziges Gebäude
von Menschenhand. An ihren Ufern jedoch waren Wassermühlen
festgemacht, welche die Kraft des Flusses nutzten, um Getreide für
den ewig hungrigen Magen von Paris zu mahlen. Fischernetze steckten im
flachen Wasser entlang der Schilfgürtel. Ein losgerissener Lastkahn,
längst von seinem Besitzer aufgegeben und schon halb vermodert, hatte
sich in einem der Netze verfangen und schwankte in der Strömung
langsam hin und her. Der dunkle, morsche Kahn kam mir in diesem Augenblick
vor wie ein riesiger Zeigefinger, der mahnend geschwenkt wurde. Doch wenn
es so war, dann wollte dies in ganz Paris niemand sehen.
Auch ich schüttelte die
Vision ab und folgte dem Inquisitor in die Rue de la Juiverie, die vom
Uferkai abzweigte.
Die Gasse war ungewöhnlich
eng und nur ein paar Dutzend Schritte lang. Das Haus »Zum bunten
Ochsen« war leicht zu finden. Schlicht war es und schmucklos; nur
ein geschnitzter, farbig bemalter Ochsenkopf wies auf den Namen hin.
Der Inquisitor trat energisch
auf die Tür des Gebäudes zu. »Dann wollen wir mal zum
Juden gehen«, sagte er grimmig. »Möge GOTT, dass es uns
besser ergeht als dem letzten Dominikaner, der hier eingetreten ist!«
Ich schlug das Kreuz und
folgte ihm.
Der Raum zur Straße hin
war weiß gekalkt, schmucklos, sauber und im Übrigen fast so
eingerichtet wie jener im Hause des Pietro Datini. Man hätte denken können,
dass hier Christenmenschen arbeiteten — wenn nicht die beiden
Gehilfen, die gerade am großen Tisch Münzen abwogen, den
gelben, aufgenähten Flicken an ihren Gewändern getragen hätten.
Den gelben Stoff hatte Seine Heiligkeit Innozenz III. vor über
einhundert Jahren den Juden als Kennung befohlen. Er symbolisiert, wie
jedermann weiß, die Geldstücke, die diesem Volk mehr bedeuten
als uns Christenmenschen. So dachte ich damals zumindest. Doch was
geschrieben steht, das gilt, so glaube ich heute, für alle Seelen: Vendite quae possidetis et date
elemosynam facite vobis sacculos qui non veterescunt thesaurum non
deficientem in caelis quo für non adpropiat neque tinea corrumpit.
Die beiden jüdischen
Geldwechslergehilfen erbleichten vor Furcht, als sie unserer ansichtig
wurden. Der ältere der beiden, der uns ins Hinterhaus führte,
zitterte am ganzen Leib, der jüngere, der zurückblieb und eilig
hinter uns die Türe verriegelte, auf dass kein Kunde hineinkam und
uns erblickte, verzog sein Gesicht, als wolle er gleich in Tränen
ausbrechen. Meister Philippe war kalt und höflich und richtete nur
wenige Worte an die beiden. Ich schwieg. Im Hinterhaus wurden wir eine
Stiege hinaufgeführt, dann betraten wir eine große Bibliothek.
Erstaunt blieb ich an der Türschwelle stehen und hätte wohl auch
einen Ruf der Verwunderung, ja des Lobpreises ausgestoßen, wenn mir
nicht im letzten Augenblick bewusst geworden wäre, wo ich mich
befand.
An der dem Eingang gegenüberliegenden
Seite waren drei schmale, jedoch sehr hohe Fenster in die Wand
eingelassen. Durch das Glas ging der Blick ungehindert über die Dächer
einiger ärmlicher Häuser und die oberen Geschosse des Hotel Dieu
bis zum gewaltig aufragenden, im Nachmittagslicht rot leuchtenden
Steingebirge der Kathedrale Notre-Dame.
»Ein Ausblick, welcher
der Residenz eines Prälaten würdig wäre!«, rief auch
Meister Philippe aus, der im hell hereinflutenden Sonnenlicht die Augen zu
Schlitzen zusammengezogen hatte. »Deine Worte ehren mich, Herr!«,
antwortete ein Mann, der hastig von einem Lehnstuhl aufgesprungen war, als
er uns erblickt hatte. Nechenja ben Isaak war vielleicht vierzig Jahre
alt; ein kurzgewachsener, rundlicher Mann in ledernem Wams und wollenen
Beinkleidern. Hätte nicht auch er den gelben Flicken getragen, ich hätte
ihn nicht von einem Christenmenschen unterscheiden können. Doch kaum
hatte er erkannt,
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