In Nomine Mortis
antwortete Meister Philippe. »Das Volk mag uns
Dominikaner nicht. Wenn wir nun zu ihm sprechen und kein Gehör
finden, dann schadet dies unserem Orden noch mehr. Und sollten wir gar -
was GOTT verhüten möge - als Handlanger des Prévôts
gesehen werden, dann wird man uns schließlich allgemein verachten.
Wir müssen dem Herrn de Lore unmissverständlich klarmachen, dass
wir predigen, was wir für richtig halten. Andererseits müssen
wir bis ins Detail mit ihm absprechen, wo und wann wir predigen sollen.
Ich möchte, dass stets ein paar Sergeanten bereit stehen, wenn einer
unserer Brüder zum Volk spricht. So viele Scharlatane und sündige
Propheten, so viele Schwätzer und entlaufene Priester verstecken sich
inzwischen in den Gassen von Paris, dass wir bedauerlicherweise bei jeder
Predigt damit rechnen müssen, dass jemand aus der Menge das Wort
ergreift, um die Gläubigen noch ärger zu verwirren.«
»Ihr wollt, dass
Sergeanten unsere Mitbrüder während ihrer Predigten schützen?«,
fragte der Prior ungläubig.
»Unterschätzt
nicht die Unruhe in Paris, Ehrwürdiger Vater«, mahnte der
Inquisitor. »Ich will nicht, dass einer unserer Mitbrüder von
einigen irregeleiteten Sündern verprügelt wird, und ich will
erst recht nicht, dass noch ein Dominikaner stirbt.«
Bruder Carbonnet wurde blass
und schwieg für eine lange Zeit. »So weit ist es also schon
gekommen, HERR«, murmelte er schließlich. Dann seufzte er und
tat uns noch mit allerlei Zeichen kund, dass seine Seele Qualen litt. Doch
schließlich nickte er.
»Gut. Geht zum Grand Châtelet
und redet mit dem Prévôt. Besprecht mit ihm alle
Einzelheiten. Erst dann will ich die Brüder hinausschicken. Pax vobiscum.«
Der Inquisitor verneigte sich
und eilte hinaus — und wie selbstverständlich nahm er mich mit.
*
Draußen auf den Straßen
war es heiß und stickig. Die Luft brannte in den Lungen, als würde
sie von tausend Flammen erhitzt. Mir war, als seien dies die Feuer der Hölle,
und mit einem Mal war mir nicht mehr wohl. Ansonsten hätte dies ein
Tag wie jeder andere sein können: Mensch und Tier drängten sich
auf den Gassen, die Leute riefen, schrien und lachten durcheinander, ein
paar junge Burschen spielten Ball, ungeachtet der Hitze. Ochsen und Esel
schwitzten weiße Schaumflocken aus und waren zu müde, um Laut
zu geben. Doch sah man genauer hin, dann fielen einem die Gesichter der
Menschen auf: Viele, die fremd waren in Paris, sahen sich staunend um. Bei
manchen blitzte die Angst in ihren Augen auf, bei anderen der Aufruhr. So
mancher warf uns ein freches Wort hinterher, als wir die Rue Saint-Jacques
Richtung Fluss entlangschritten. »Paris ist ein Kessel, der Teufel
schürt das Feuer und braut in den Gassen den Hass zusammen wie einen
Hexentrank«, murmelte Meister Philippe unvermittelt.
Ich schlug das Kreuz. »Wie
meint Ihr das, Herr?«
»Nun, ich war in den
letzten Tagen des Öfteren in der Stadt. Ich habe Augen, um zu sehen,
und Ohren, um zu hören. Die Menschen haben Angst vor der Seuche und
noch mehr Angst vor den Geschichten, die man allerorten über diese
Seuche erzählt. Doch wer sich fürchtet, will einen Schuldigen für
diese Misere sehen. Wer aber glaubst du, Bruder Ranulf, ist dieser
Schuldige?«
Ich dachte nach. »Wir
alle, da wir Sünder sind«, antwortete ich ihm schließlich.
»GOTT straft uns, auf dass wir in unserem falschen Tun innehalten
und zu ihm finden.«
»So kannst du als
Prediger sprechen und ich werde dich loben dafür«, versetzte
der Inquisitor. »Doch so denken die meisten Menschen nicht, wenn sie
allein sind mit ihrer Angst. Sie suchen einen Schuldigen — und sie
werden niemals glauben, dass sie selbst Schuld auf sich geladen haben.«
»Und was folgert Ihr
daraus?«, wollte ich wissen.
»Mich plagt die gleiche
Sorge, die auch den Prévôt umtreibt: Die Menge wird sich
einen Schuldigen suchen. Vielleicht entlädt sich der Zorn gegen die
Vaganten und all die Fremden, die nun in unseren Mauern weilen. Vielleicht
gegen den König, den Prévôt und seine Sergeanten.
Vielleicht aber auch gegen uns Mönche, vor allem uns Dominikaner.«
Ich erschrak. »Und was
sollen wir tun?«
»Predigen«,
erwiderte der Inquisitor und lächelte. »Und dem Volk den wahren
Sünder präsentieren. Wir müssen ihn nur noch finden.«
Den Rest des Weges legten wir rasch und schweigend zurück. Ich
Weitere Kostenlose Bücher