In Nomine Mortis
bewunderte den Scharfsinn von Meister Philippe - und fragte mich zugleich,
welch geheimnisvolle Aufträge ihn selbst in den letzten drei Wochen,
da alle anderen Brüder Flüchtlinge pflegen mussten, durch die
Straßen von Paris geführt hatten. Wusste der Inquisitor über
die schrecklichen Mordtaten inzwischen mehr als er mir offenbart hatte?
Endlich gelangten wir zum Grand Châtelet — und mein Verdacht,
dass Meister Philippe mehr erfahren hatte als ich ahnte, verstärkte
sich dort noch. Denn wieder einmal hieß mich der Inquisitor draußen
zu warten, während er ein wichtiges Gespräch zu führen
gedachte. So verneigte ich mich denn demütig und enttäuscht, während
der Inquisitor hineinging, um mit dem Prévôt Worte zu
wechseln, die offenbar nicht für meine Ohren bestimmt waren.
Um nicht unnütz vor dem
massigen Tor des Grand Châtelet herumzustehen, ging ich die wenigen
Schritte bis zum Ufer der Seine. Der Boden war in der Sommerhitze hart
gebacken und tückisch uneben. Man musste Acht geben, dass man sich
nicht den Fuß verrenkte. Ich blieb stehen, starrte auf das Wasser
und hoffte, dass sich meine Seele ins Gebet versenken möge. Doch ein
Dämon war in mir, der meinen Blick hob, bis ich über all die
Barken und Kähne am Seinehafen hinwegsah — auf die Kogge des
Herrn Helmstede, die noch immer burggleich die anderen Boote überragte.
Einsam lag sie an der Spitze eines Kais. Kein Mensch zeigte sich an Deck.
Kaum hatte ich die Kogge
erblickt, dachte ich an die Gattin des Reeders. Müsste sie nicht
wenigstens ein paar der Geheimnisse ihres Mannes kennen? Wüsste sie
vielleicht, wem das Geld gehörte, das Heinrich von Lübeck in
seiner letzten Nacht bei sich getragen hatte?
Doch kaum dachte ich an die
Frau und den Mönch, da folgte mein Geist seinem eigenen, verhängnisvollen
Weg. Erinnerte sich die Reedersgattin wohl noch meiner? Wo mochte Klara
Helmstede in diesem Moment gerade sein? Was mochte sie tun? Welche
Kleidung mochte sie tragen? Schon schweiften meine Gedanken unwillkürlich
zu ihrem Körper und Hitze wallte in dem meinem auf wie ein Feuer.
»Oh HERR, banne die Sünde aus meinem Geist!«, flehte ich
leise. Doch vergebens. Es gelang mir zwar, meinen Blick mit Gewalt von der
Kogge zu lösen und so auch meine Seele von den peinigenden Bildern zu
befreien, doch sofort fanden meine Augen die Gassen und düsteren Häuser
im Schatten von Notre-Dame. Nur der Fluss trennte die Schiffe im Hafen von
der Insel mit der Kathedrale - und den Häusern der Juden.
Nun hatte ich Leas Bild vor
meinem inneren Auge. Welches Geheimnis wollte mir die Tochter des
Geldwechslers nur mitteilen? Was wusste sie von der Kogge, die nur wenige
Schritte von ihrem Vatershaus entfernt lag? Musste sie das Schiff nicht
jeden Tag sehen, wenn sie aus dem Fenster blickte? Hatte sie vielleicht
sogar Richard Helmstede und seine Gattin kennen gelernt? In Paris womöglich
oder schon viel früher?
Meine Gedanken glichen den
Wirbeln, die der Fluss an den Brückenpfeilern bildete: Sie drehten
und drehten sich und kamen doch nicht voran. Sie drohten mich zu
verschlingen, denn mal dachte ich an den toten Mitbruder, das Geld und was
wohl der Reeder und der Geldwechsler damit zu tun haben mochten, dann
wieder dachte ich nur an die beiden Frauen, die mir irgendwie in dieses
Mysterium verstrickt zu sein schienen.
»Die Schwangeren
kommen!«, rief plötzlich eine raue Männerstimme hinter mir
und riss mich aus meinen verzehrenden Gedanken. Der Mann, ein junger, kräftiger
Hafenträger, hatte einen staubigen Mehlsack abgesetzt und sich neben
mich gestellt. Jetzt erst sah ich, dass viele Menschen — es mochten
wohl einige Hundert sein — entlang des Ufers eine Art unordentliches
Spalier gebildet hatten. Sie blickten stromab, gen Westen. Dort, winzig
wirkend unter den düsteren Burgmauern des Louvre, erblickte ich eine
Prozession. Ein Priester trug ein mit Silber beschlagenes Kreuz voran, ein
anderer schwenkte ein Fässchen mit Weihrauch, dessen graue Rauchfahne
sich in der heißen Luft kräuselte. Hinter ihnen schritten, das
Haupt gesenkt und unter weiten, dunklen Schleiern verhüllt, wohl zwei
Dutzend Schwestern der Augustinerinnen. Ihnen wiederum folgten, Kerzen in
Händen haltend und fromme Hymnen singend, sicherlich an die hundert Bürgerinnen.
»Aber«, rief ich
erstaunt aus,
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