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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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»die Frauen sind ja alle schwanger!« Der Träger
     lachte, doch Hohn lag nicht in seiner Stimme. »Ihr seid wohl nicht
     von hier, Bruder!«, rief er. »Es sind die schwangeren Frauen
     aus diesem Viertel. Sie haben eine Wallfahrt gemacht, vor drei Tagen sind
     sie losgezogen. Endlich sind sie wieder hier.«
    »Eine Wallfahrt außerhalb
     der Stadtmauern?«, verwunderte ich mich. »In dieser unsicheren
     Zeit?«
    »Eben deshalb«,
     sagte der Träger und nickte nun ernsthaft. »Fühlt eine Bürgerin
     von Paris die Frucht in ihrem Leib, so zieht es sie nach Chartres. Dort,
     in der Kathedrale, wird die Vorhaut unseres Herrn Jesus Christus verwahrt.
     Eine wundertätige Reliquie, fürwahr, die schon mancher Frau bei
     einer schwierigen Schwangerschaft und einer gefährlichen Geburt
     beigestanden hat.«
    Er deutete stolz auf sich.
     »Auch meine Mutter ist nach Chartres gegangen, als sie mich im Leibe
     trug. Und seht, was aus mir geworden ist!« Er zeigte mir seine
     muskulösen Arme und entblößte seine gesunden Zähne,
     dann lachte er wieder. »Gut, dass sie wieder hier sind!«, rief
     er dann erneut.
    Langsam und würdevoll
     kamen die Frauen näher. Lieblich sangen sie, fromm waren ihre Blicke
     und das Volk jubelte. Manch einer fiel sogar auf die Knie und dankte dem
     HERRN. Als die Prozession nahe bei mir war, da sah ich, dass die
     Schwangeren zwar alle ein schlichtes, weißes Gewand trugen, wie es
     sich für eine Prozession ziemt, doch erkannte ich sehr wohl, dass
     kaum eine von ihnen arm war. Sie waren wohlgenährt: Rosig waren ihre
     Gesichter und wenn ein Gewand aus Versehen kurz verrutschte, so entblößte
     es dralle Arme und Beine.
    »Es sind Frauen aus
     deinem Viertel?«, fragte ich den Träger. Der nickte und deutete
     ein wenig stromab. »Seht Ihr die Kirche dort, Bruder?
     Saint-Jacques-de-la-Boucherie heißt sie, denn daneben, in dem
     prachtvollen Haus, residiert die Zunft der Metzger. Viele Metzger haben
     ihre Stuben in den Gassen rundum. Es sind, wie Ihr wohl unschwer sehen könnt,
     ihre Gattinnen und Töchter, die diese fromme Wanderung auf sich
     genommen haben. Ihre Wallfahrt wird in der Kirche enden, vor der Statue
     der heiligen Anna.«
    »Der Patronin der Mütter«,
     murmelte ich, doch der Träger hörte mich nicht länger, denn
     er hatte sich umgewandt und zog nun, beladen mit seinem Mehlsack, gleich
     hundert anderen hinter den frommen Frauen her, um nach ihnen zur Messe in
     die Kirche Saint-Jacques-de-la-Boucherie zu gelangen.
    Ich stemmte mich, da ich
     nicht zu weichen gedachte, gegen den Strom der Leiber. Da jedoch spürte
     ich, wie eine Hand im Gedränge nach meiner Kutte fasste. Ich drehte
     mich um - und starrte Jacquette ins Gesicht.
    Ich war so erschrocken, dass
     ich keinen Ton über die Lippen brachte. Und das war auch gut so, denn
     ein Mönch, der mit einem erstaunten Ausruf eine Schönfrau
     ansprach, hätte wohl selbst unter so vielen erregten Menschen
     Aufsehen verursacht.
    Die junge Dirne hob die Hand
     an ihren Mund und bedeutete mir, zu schweigen. Dann schob sie mich voran
     und drängte sich neben mich. Nun musste es für alle Menschen,
     die unserer ansichtig wurden, so wirken, als gingen wir nur zufällig
     nebeneinander her: zwei Gläubige, die beide zur Kirche strebten, um
     die Gebete vor der heiligen Anna mitzusprechen.
    Welche Qualen litt ich! Ich
     wollte nicht vom Grand Châtelet weichen, denn jeden Moment mochte
     Meister Philippe wieder erscheinen. Welche Schande gar, würde er
     gerade jetzt aus dem Portal treten und mich in Begleitung von Jacquette
     erblicken! Was würde er denken von mir?
    Ich erschauderte kurz: Müsste
     er nicht gar einen Verdächtigen in mir vermuten? War ich nicht auch
     Deutscher? Passte meine Ankunft nicht zu der Zeit, da Heinrich von Lübeck
     erstochen worden war? Wenn mich der Inquisitor nun im Gespräch mit
     der Frau antraf, die vielleicht mehr als jeder andere Mensch — außer
     dem Mörder selbstverständlich - über diese abscheuliche Tat
     wusste, so mochte selbst ein so scharfer Verstand wie der von Meister
     Philippe in die Irre gehen und in mir den Sünder sehen, nach dem wir
     alle suchten. Trotzdem zögerte ich nicht, an der Seite der Schönfrau
     zur Kirche zu streben. Ich war noch ganz benommen von ihrer Berührung.
     Doch nicht nur die schändliche Lust des Fleisches durchströmte
     mich, sondern auch die womöglich noch schändlichere Lust des
     Geistes. Ich machte mich der Sünde des Hochmuts

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