In Nomine Mortis
»die Frauen sind ja alle schwanger!« Der Träger
lachte, doch Hohn lag nicht in seiner Stimme. »Ihr seid wohl nicht
von hier, Bruder!«, rief er. »Es sind die schwangeren Frauen
aus diesem Viertel. Sie haben eine Wallfahrt gemacht, vor drei Tagen sind
sie losgezogen. Endlich sind sie wieder hier.«
»Eine Wallfahrt außerhalb
der Stadtmauern?«, verwunderte ich mich. »In dieser unsicheren
Zeit?«
»Eben deshalb«,
sagte der Träger und nickte nun ernsthaft. »Fühlt eine Bürgerin
von Paris die Frucht in ihrem Leib, so zieht es sie nach Chartres. Dort,
in der Kathedrale, wird die Vorhaut unseres Herrn Jesus Christus verwahrt.
Eine wundertätige Reliquie, fürwahr, die schon mancher Frau bei
einer schwierigen Schwangerschaft und einer gefährlichen Geburt
beigestanden hat.«
Er deutete stolz auf sich.
»Auch meine Mutter ist nach Chartres gegangen, als sie mich im Leibe
trug. Und seht, was aus mir geworden ist!« Er zeigte mir seine
muskulösen Arme und entblößte seine gesunden Zähne,
dann lachte er wieder. »Gut, dass sie wieder hier sind!«, rief
er dann erneut.
Langsam und würdevoll
kamen die Frauen näher. Lieblich sangen sie, fromm waren ihre Blicke
und das Volk jubelte. Manch einer fiel sogar auf die Knie und dankte dem
HERRN. Als die Prozession nahe bei mir war, da sah ich, dass die
Schwangeren zwar alle ein schlichtes, weißes Gewand trugen, wie es
sich für eine Prozession ziemt, doch erkannte ich sehr wohl, dass
kaum eine von ihnen arm war. Sie waren wohlgenährt: Rosig waren ihre
Gesichter und wenn ein Gewand aus Versehen kurz verrutschte, so entblößte
es dralle Arme und Beine.
»Es sind Frauen aus
deinem Viertel?«, fragte ich den Träger. Der nickte und deutete
ein wenig stromab. »Seht Ihr die Kirche dort, Bruder?
Saint-Jacques-de-la-Boucherie heißt sie, denn daneben, in dem
prachtvollen Haus, residiert die Zunft der Metzger. Viele Metzger haben
ihre Stuben in den Gassen rundum. Es sind, wie Ihr wohl unschwer sehen könnt,
ihre Gattinnen und Töchter, die diese fromme Wanderung auf sich
genommen haben. Ihre Wallfahrt wird in der Kirche enden, vor der Statue
der heiligen Anna.«
»Der Patronin der Mütter«,
murmelte ich, doch der Träger hörte mich nicht länger, denn
er hatte sich umgewandt und zog nun, beladen mit seinem Mehlsack, gleich
hundert anderen hinter den frommen Frauen her, um nach ihnen zur Messe in
die Kirche Saint-Jacques-de-la-Boucherie zu gelangen.
Ich stemmte mich, da ich
nicht zu weichen gedachte, gegen den Strom der Leiber. Da jedoch spürte
ich, wie eine Hand im Gedränge nach meiner Kutte fasste. Ich drehte
mich um - und starrte Jacquette ins Gesicht.
Ich war so erschrocken, dass
ich keinen Ton über die Lippen brachte. Und das war auch gut so, denn
ein Mönch, der mit einem erstaunten Ausruf eine Schönfrau
ansprach, hätte wohl selbst unter so vielen erregten Menschen
Aufsehen verursacht.
Die junge Dirne hob die Hand
an ihren Mund und bedeutete mir, zu schweigen. Dann schob sie mich voran
und drängte sich neben mich. Nun musste es für alle Menschen,
die unserer ansichtig wurden, so wirken, als gingen wir nur zufällig
nebeneinander her: zwei Gläubige, die beide zur Kirche strebten, um
die Gebete vor der heiligen Anna mitzusprechen.
Welche Qualen litt ich! Ich
wollte nicht vom Grand Châtelet weichen, denn jeden Moment mochte
Meister Philippe wieder erscheinen. Welche Schande gar, würde er
gerade jetzt aus dem Portal treten und mich in Begleitung von Jacquette
erblicken! Was würde er denken von mir?
Ich erschauderte kurz: Müsste
er nicht gar einen Verdächtigen in mir vermuten? War ich nicht auch
Deutscher? Passte meine Ankunft nicht zu der Zeit, da Heinrich von Lübeck
erstochen worden war? Wenn mich der Inquisitor nun im Gespräch mit
der Frau antraf, die vielleicht mehr als jeder andere Mensch — außer
dem Mörder selbstverständlich - über diese abscheuliche Tat
wusste, so mochte selbst ein so scharfer Verstand wie der von Meister
Philippe in die Irre gehen und in mir den Sünder sehen, nach dem wir
alle suchten. Trotzdem zögerte ich nicht, an der Seite der Schönfrau
zur Kirche zu streben. Ich war noch ganz benommen von ihrer Berührung.
Doch nicht nur die schändliche Lust des Fleisches durchströmte
mich, sondern auch die womöglich noch schändlichere Lust des
Geistes. Ich machte mich der Sünde des Hochmuts
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