In Nomine Mortis
Unbekannten miteinander zu verschmelzen und einen wilden Tanz
aufzuführen. Dann fiel die erste Gestalt zu Boden - und die zweite
rannte davon, zurück in die Kathedrale.«
»Der Unbekannte stürzte?«
»Ja, besser kann ich es
nicht beschreiben. Es ging so schnell. Einen Augenblick standen sich beide
noch gegenüber. Dann schien es mir, als umarmten sie sich. Und im nächsten
Moment lag einer am Boden, der andere rannte in die Kathedrale Notre-Dame
zurück.«
»Es muss ein kurzer
Kampf gewesen sein«, murmelte ich. »Doch scheint es mir, als hätte
Heinrich von Lübeck seinen Mörder gekannt. Warum sonst hätte
er mit ihm reden sollen?« Laut sagte ich dann: »Was geschah
danach?«
Jacquette schlug ein Kreuz.
»Der Domherr prügelte wieder auf mich ein, bevor ich etwas
sagen konnte. Dann, und das schwöre ich bei der Mutter GOTTES und
allen Heiligen der Kirche, verlor ich das Bewusstsein.«
»Meinst du, dass auch
Nicolas d'Orgemont die beiden Gestalten und ihren Kampf gesehen hat?«
Die Schönfrau schüttelte
den Kopf. »Als er mich schlug, da stand er mit dem Rücken zur
Kathedrale. Er wandte Notre-Dame stets den Rücken zu, wenn er bei mir
war. Er hatte mir einmal gesagt, er könne nicht zu einer Dirne gehen
und dabei auf das Haus GOTTES blicken. Doch was geschah, nachdem mich
meine Sinne verlassen hatten, das weiß ich nicht zu sagen.«
»Und die Gestalt, die
du gesehen hast, nachdem du wieder bei Bewusstsein warst, jener
Unbekannte, der sich am Körper des toten Heinrichs von Lübeck zu
schaffen machte — die gab es tatsächlich?«, fragte ich,
obwohl ich ihr sowieso schon glaubte. Jacquette nickte. »Ja, das ist
wahr. Aber«, sie zögerte, »es war nicht derselbe
Unbekannte, der ihn auch niedergestreckt hat.« Ich zuckte zusammen.
»Nicht?«, keuchte ich. »Bist du dir da ganz sicher? Schwöre
es!«
»Ich schwöre es
bei meinem Seelenheil! Die Person, die Euren Bruder niederstreckte, war
recht groß, vielleicht sogar größer als der Unglückselige,
vielleicht aber auch nicht, das konnte ich nicht genau erkennen, aber dick
war er nicht. Die zweite jedoch war massig wie ein Mastschwein.«
Ich blickte auf das
verschlossene Gnadenbild und murmelte ein kurzes Gebet. »Wir suchen
also zwei Unbekannte«, flüsterte ich dann, und es war mir, als
legte sich mir ein neues, großes Gewicht auf die Schultern. Je länger
Meister Philippe und ich suchten, desto weniger schienen wir zu finden.
Oder nein: Wir fanden zwar Spuren, doch führte uns die Lösung
eines Rätsels stets nur zum nächsten. Es war wie in der
Theologie, wo die Behandlung eines Dogmas stets nur zum nächsten führte,
das geklärt zu werden verlangte. Niemals, niemals war ein Ende
abzusehen.
*
Es war Jacquette, die mich
aus meinen Gedanken riss.
»Glaubt Ihr, Herr, dass
mich der Teufel holen will wegen all meiner Sünden?«, fragte
sie mich.
Vor wenigen Wochen noch hätte
ich diese Frage bejaht, denn wo sonst als in der Hölle sollten Schönfrauen
schon enden? Doch nun war ich mir dessen nicht mehr so sicher. Hatte nicht
selbst unser Herr Jesus Christus den Sündern verziehen? Cum autem perseverarent
interrogantes eum erexit se et dixit eis qui sine peccato est vestrum
primus in illam lapidem mittat. Waren es tatsächlich die Künste
Satans, die Menschen verführten, Sünden zu begehen? Wer brachte
denn Not und Hunger und Leid in die Welt, wenn nicht wir Menschen? Waren
wir es nicht, die einander zur Hölle verdammten?
»Fürchte dich
nicht«, antwortete ich ihr deshalb. »Der HERR ist stärker
als der Teufel. Und weil dies so ist, wird es für jeden von uns immer
einen Weg geben, dem Finsteren zu entkommen.« Da weinte Jacquette plötzlich.
Es war ein hemmungsloses, unbeherrschtes - ich weiß kein anderes
Wort als dieses —, hingebungsvolles Weinen.
Heiß und kalt wurde
mir, als ich sie so sah. Hinübergehen und sie zur Tröstung in
den Arm nehmen konnte ich nicht, das hätte zu viel Aufsehen erregt.
So achtete niemand auf uns, denn obwohl Tränen aus den Augen der Schönfrau
flössen wie ein Strom, gab sie dabei keinen Laut von sich.
»Meister Philippe hatte
Recht, als er mich der Lüge bezichtigte. Es gibt keinen Vater, der
Lastenträger war und früh verstarb. Und auch keine jüngeren
Geschwister. Ich war ein Bauernmädchen in Rampillon«, flüsterte
sie, als sie sich ausgeweint hatte. Ich ahnte, dass sie mir
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