In Nomine Mortis
Monate?«
»Ihr glaubt, dass
Bruder Heinrich deshalb umgebracht worden ist, weil er von meinem
Schwager, dem sterbenden Kapitän, das Ziel der Reise erfahren hat?«,
fragte Klara Helmstede. »Aber vielleicht ist das alles nur ein
tragischer Zufall und mein Gatte und seine Kogge haben nichts mit jener
Untat zu schaffen.«
»Das mag wohl sein«,
gab ich zu, doch ich erinnerte mich an die Nachricht, welche mir die
Tochter des Geldwechsler zugesteckt hatte. Ich war leider nicht sehr
geschickt darin, ein Gespräch zu führen - und bin es auch heute
noch nicht —, schon gar nicht mit einer Frau wie Klara Helmstede,
die einem die Sinne und den Geist verwirrte. So fiel mir denn keine unauffällige
Äußerung ein, mit der ich unserer Unterhaltung eine neue
Wendung hätte geben können. Stattdessen fragte ich schließlich
rundheraus, auch wenn es grob war: »Hat Euer Gatte etwas mit den
Juden von Lübeck zu schaffen? Gar mit ihrem Rabbiner?«
Aus den Augen der
Reedersgattin schössen Blitze zu mir und einen Moment lang glaubte
ich, sie würde mir einen Teller ins Gesicht schleudern oder meine
Wange mit ihren langen, wohlgepflegten Fingernägeln zerkratzen.
»Seid Ihr von Sinnen,
Bruder Ranulf? Wir sind gute Christen«, rief sie empört.
Dann jedoch stockten ihr die
Worte. Sie dachte nach — und urplötzlich änderte sich, ich
vermag es nicht anders zu beschreiben, das Blitzen ihrer Augen. Und ich,
Narr, der ich war, sonnte mich auf einmal in ihrer Bewunderung. Sie, die
mich stets mit einer Spur Hochmut behandelt hatte, dachte nun nicht mehr
an Spott. »Jetzt weiß ich, Bruder Ranulf, warum Meister
Philippe Euch zum Gehilfen erkor. Ihr werdet einen guten Inquisitor
abgeben, nein, Ihr seid es schon!«, rief sie aus.
In gespielter Demut neigte
ich mein Haupt, um meinen Hochmut zu verbergen - und meine Verlegenheit.
Zwar schmeichelte mir die überraschende Bewunderung dieser Frau, doch
warum sie meine so plumpe Frage dermaßen in Erregung versetzte - das
wiederum vermochte ich nicht zu ergründen. Doch ich musste nicht
lange auf die Aufklärung dieses Rätsels warten.
»Seekarten!«,
rief sie nun. »Ihr spielt darauf an, Bruder Ranulf. Ja«, sie
nickte, während sie weitersprach, »mein Gatte vertraut diesen
neumodischen Dingen mehr als der überlieferten und erprobten
Tradition und er befiehlt auch seinen Kapitänen, es so zu halten.«
Ich blickte sie fragend an, doch verzichtete ich klugerweise darauf, etwas
zu sagen.
»Wisst Ihr, Bruder
Ranulf, wie ein Kapitän seinen Kurs findet?« Ich schüttelte
den Kopf und schwieg.
»Es ist ein Ding der
Erfahrung, der langen Jahre auf See, der unzähligen Fahrten entlang
der Küsten. Irgendwann kennt ein Seemann — ein guter Seemann
zumindest, einer, der das Zeug hat zum Kapitän - alle diese Küsten.
Kennt jeden Hügel und jede Windmühle, jede Kirchturmspitze und
jede Halbinsel, hat Tausende und Abertausende Ellen Küstenlinie im
Kopf. Ein Blick genügt ihm und er weiß, wo er ist, bei Tag und
selbst bei Nacht - vorausgesetzt, dass der Mond ein wenig Licht spendet.«
»Und wenn er einen
entfernten Hafen ansteuern muss? Oder ihn ein ungünstiger Wind
forttreibt? Was macht ein Kapitän, wenn die Küste hinter dem
Horizont versunken ist?«
»Der Kapitän sieht
auf das Wasser«, antwortete die Reedersgattin, die offenbar nicht
nur in Dingen des Geldes mehr wusste, als einem Weibe anstand. »Mancherorts
ist das Wasser tiefblau wie Eisen, andernorts schwarz oder grün oder
braun wie eine helle Soße. Oft lässt er auch das Senkblei
werfen. Das Meer, das uns doch immer gleich scheint, ist in Wahrheit an
manchen Stellen bloß einige Klafter tief, an anderen hingegen
Hunderte. Kennt ein Kapitän die Farbe und die Tiefe des Wassers, so
mag er schon wissen, wo er sich befindet. Reicht ihm dies nicht, müssen
ein paar Matrosen mit einem kleinen Eimer, der an ein festes Tau gebunden
ist, Meeresgrund nach oben schöpfen. Denn mancherorts liegt gelber
Sand in der Tiefe, an anderen Stellen ist es weißer, an wieder
anderen Stellen sind es Steine oder schwarzer Schlamm oder brauner.«
»Also müssen Eure
Kapitäne, Frau Helmstede, nicht nur die Küsten der Meere kennen,
sondern auch ihren verborgenen Grund und die Farbe ihres Wassers.«
»Ja, und genau das
plagt meinen Gatten: Denn um ein guter Kapitän zu werden, muss
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