In seinen Händen - Coben, H: In seinen Händen - Caught
wem?«
»Wir leben in einem sehr kleinen Ort.«
Jenna lächelte ohne jede Spur von Freude. »Tun das nicht alle? Ja, wir ziehen weg. Noel wird Chef der Herzchirurgie im Cincinnati Memorial Hospital.«
»Das ging aber schnell.«
»Er ist ein sehr gefragter Mann. Aber ehrlich gesagt planen wir das schon seit Monaten.«
»Als Sie sich zum ersten Mal hinter Dan gestellt haben?«
Wieder dieses freudlose Lächeln. »Sagen wir einfach, dass sich unser Ansehen im Ort dadurch nicht verbessert hat«, sagte sie. »Wir hatten gehofft, bis zum Ende des Schuljahrs bleiben zu können - damit Amanda hier noch die Abschlussfeier mitmachen kann. Aber das sollte wohl nicht sein.«
»Tut mir leid.«
»Auch da wieder: Denken Sie an Ted und Marcia - für uns ist es längst nicht so schlimm.«
Da hatte sie wohl Recht.
»Was wollen Sie von mir, Wendy?«
»Sie haben sich hinter Dan gestellt, ihn verteidigt.«
»Ja.«
»Also von Anfang an. Schon direkt nach der Ausstrahlung meiner Sendung. Sie waren absolut überzeugt, dass er unschuldig war. Und bei unserem letzten Gespräch haben Sie mir vorgeworfen, dass ich das Leben eines unschuldigen Menschen zerstört hätte.«
»Und - was soll ich jetzt sagen? Mein Fehler? Ich hatte unrecht, Sie hatten recht?«
»Hatten Sie das?«
»Hatte ich was?«
»Hatten Sie unrecht?«
Jenna starrte sie nur an. »Was reden Sie da?«
»Glauben Sie, dass Dan Haley umgebracht hat?«
Es wurde still in der Lobby. Jenna sah aus, als wollte sie etwas antworten, dann schüttelte sie jedoch den Kopf.
»Ich versteh Sie nicht. Halten Sie ihn jetzt für unschuldig?«
Wendy wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. »Irgendwie fehlen mir da noch ein paar Dinge.«
»Zum Beispiel?«
»Um das festzustellen, bin ich hier.«
Jenna sah sie an, als wartete sie auf mehr. Doch Wendy hatte den Blick abgewandt. Jenna hatte mehr verdient als die üblichen Antworten. Bisher war Wendy den ganzen Fall als Journalistin angegangen, aber vielleicht war sie hier mehr als das. Vielleicht war es an der Zeit, über wirklich alles zu reden, sich die Wahrheit einzugestehen, sie laut auszusprechen.
»Ich werde Ihnen etwas erzählen, in Ordnung?«
Jenna nickte und wartete dann.
»Ich arbeite mit Fakten, nicht mit Intuition. Meine Intuition bringt mich normalerweise nur durcheinander. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Besser, als Sie sich vorstellen können.«
Jenna hatte jetzt Tränen in den Augen. Auch Wendy fühlte ihre Augen feucht werden.
»Die Fakten bewiesen, dass ich Dan auf frischer Tat ertappt hatte. Er hat versucht, mein imaginäres dreizehnjähriges Mädchen zu verführen. Er ist zu der falschen Verabredung gekommen. Dazu kam dieses ganze Zeug in seinem Haus und auf dem Laptop. Selbst sein Job - ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele von diesen Dreckstypen mit Teenagern arbeiten und ihnen angeblich helfen wollen. Das passte alles zusammen. Trotzdem
hat meine Intuition die ganze Zeit laut protestiert, dass da irgendetwas nicht stimmen kann.«
»Als wir uns unterhalten haben, schienen Sie sich ziemlich sicher zu sein.«
»Fast zu sicher, finden Sie nicht?«
Jenna dachte darüber nach, und ein schwaches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Genau wie ich, wenn man so darüber nachdenkt - wir waren uns beide sicher. Eine von uns musste sich natürlich irren. Aber die wichtigste Erkenntnis für uns beide ist wohl, dass man in andere Menschen nicht hineinsehen kann. Das klingt offensichtlich, aber anscheinend habe ich nochmal eine Gedächtnisauffrischung gebraucht. Ich habe Ihnen doch erzählt, dass Dan ziemlich verschlossen war?«
»Ja.«
»Vielleicht lagen Sie richtig mit Ihrem Warum. Er hat mir etwas verheimlicht. Das wusste ich. Wobei wir das natürlich alle tun, oder? Niemand kann einen anderen Menschen bis ins Letzte kennen.«
»Dann haben Sie sich von Anfang an in Dan geirrt?«
Jenna kaute einen Moment lang auf ihrer Lippe herum. »Rückblickend sieht alles immer etwas anders aus. Diese Verschlossenheit meine ich. Früher dachte ich, es läge daran, dass er Waise war. Verstehen Sie? Da ist es ziemlich verständlich, dass man Probleme hat, anderen Menschen zu vertrauen. Ich war auch davon ausgegangen, dass unsere Trennung im Endeffekt darauf zurückzuführen war. Aber mittlerweile stelle ich mir ganz andere Fragen.«
»Was für Fragen?«
Eine Träne lief Jennas Wange hinab. »Ich frage mich, ob nicht doch noch mehr dahintersteckte, ob ihm vielleicht irgendetwas Schlimmes zugestoßen
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