In seinen Händen - Coben, H: In seinen Händen - Caught
überlegte, ob dies ein angemessener Zeitpunkt war, mit ihr zu sprechen - allzu lange zögerte sie allerdings nicht. Gelegenheit, Schopf und so weiter. Sie ging auf das Mädchen zu und sagte sich dabei, dass es nicht darum ging, eine große Story abzugreifen, sondern einzig und allein darum herauszubekommen, was wirklich mit Haley und Dan passiert war.
Die neue Theorie hatte sich jetzt fest in ihrem Kopf eingenistet. Und Patricia McWaid könnte Informationen haben, die sie bestätigten oder widerlegten.
»Hi«, sagte Wendy zu dem jungen Mädchen.
Das Mädchen zuckte vor Schreck kurz zusammen. Sie drehte sich um und sah Wendy an. »Hallo.«
»Mein Name ist Wendy Tynes.«
»Ich weiß«, sagte Patricia. »Sie wohnen bei uns im Ort. Und Sie sind oft im Fernsehen.«
»Das stimmt.«
»Außerdem haben Sie eine Sendung über den Mann gemacht, der Haleys Handy hatte.«
»Ja.«
»Glauben Sie, er hat ihr was getan?«
Wendy überraschte die Direktheit des Mädchens. »Ich weiß es nicht.«
»Tun Sie einfach so, als ob Sie das raten müssten - glauben Sie, dass er ihr was getan hat?«
Wendy überlegte. »Nein, ich glaube nicht, dass er ihr was getan hat.«
»Warum nicht?«
»Das ist nur so ein Gefühl. Keine Ahnung, wo das herkommt. Und wie schon gesagt, ich weiß es wirklich nicht.«
Patricia nickte. »Schon okay.«
Wendy überlegte, wie sie das angehen sollte. Mit etwas Banalem anfangen wie: »Deine Schwester und du, standet ihr euch sehr nah?« Die übliche Vorgehensweise bei einem Interview. Man fing mit unverfänglichen, allgemein gehaltenen Fragen an, damit sich das Gegenüber entspannte, baute erst einmal eine Beziehung auf und hoffte, dass sich daraus ein Gesprächsrhythmus entwickelte. Aber selbst ohne den Zeitdruck - Tremont und Walker konnten jeden Moment auftauchen - schien ihr das der falsche Weg zu sein. Das Mädchen hatte sie ganz direkt gefragt. Dann konnte sie das auch tun.
»Hat deine Schwester je etwas über Dan Mercer gesagt?«
»Das hat die Polizei mich schon gefragt.«
»Und?«
»Nein. Haley hat ihn nie erwähnt.«
»Hatte Haley einen Freund?«
»Das hat die Polizei auch gefragt«, sagte Patricia. »Gleich am Tag nach ihrem Verschwinden. Die Frage muss Ermittler Tremont mir seitdem mindestens tausend Mal gestellt haben. Als ob ich ihm etwas verschweigen würde.«
»Und, hast du das?«
»Nein.«
»Dann hatte sie einen Freund?«
»Ich glaube schon, ja. Aber ich weiß es nicht. Das war ihre Privatsache. Haley konnte solche Dinge sehr gut geheim halten.«
Wendys Puls ging etwas schneller. »Was hat sie denn geheim gehalten?«
»Sie hat sich ein paarmal rausgeschlichen und mit ihm getroffen.«
»Woher wusstest du davon?«
»Mir hat sie’s erzählt. Sie wissen schon, damit ich sie decken kann, wenn unsere Eltern sie suchen.«
»Wie oft war das?«
»So zwei oder drei Mal.«
»Wollte sie auch an dem Abend, an dem sie verschwunden ist, dass du sie deckst?«
»Nein. Das letzte Mal war ungefähr eine Woche vorher.«
Wendy dachte darüber nach. »Und das hast du alles der Polizei erzählt?«
»Klar. Gleich am ersten Tag.«
»Hat die Polizei ihren Freund gefunden?«
»Ich glaube schon. Also, Tremont hat das wenigstens gesagt.«
»Verrätst du mir, wer das war?«
»Kirby Sennett. Ein Typ aus der Schule.«
»Glaubst du, dass es Kirby war?«
»Sie meinen, ob er ihr Freund war?«
»Ja.«
Patricia zuckte die Achseln. »Ich glaub schon, ja.«
»Aber sicher bist du dir nicht?«
»Nein. Sie hat es mir ja nicht erzählt. Ich sollte sie nur decken.«
Der Hubschrauber flog über sie hinweg. Patricia schirmte die Augen mit der Hand ab und sah nach oben. Sie schluckte. »Das kommt mir immer noch total unecht vor. Als ob sie nur irgendwohin verreist ist und irgendwann einfach wieder vor der Tür steht.«
»Patricia?«
Sie senkte den Blick.
»Glaubst du, dass Haley ausgerissen ist?«
»Nein.«
Ohne jedes Zögern.
»Du scheinst dir ziemlich sicher zu sein.«
»Wieso sollte sie ausreißen? Klar, vielleicht hat sie zwischendurch mal irgendwo was getrunken und so. Aber Haley war doch glücklich. Sie ist gern in die Schule gegangen. Sie hat gern Lacrosse gespielt. Sie mochte ihre Freundinnen. Und die Familie auch. Warum hätte sie ausreißen sollen?«
Wendy dachte darüber nach.
»Ms. Tynes?«, sagte Patricia.
»Ja?«
»Was glauben Sie, was passiert ist?«
Sie wollte dieses Mädchen nicht belügen. Aber sie wollte es ihr auch nicht sagen. Wendy wandte den Blick ab und zögerte
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