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In seinen Händen - Coben, H: In seinen Händen - Caught

Titel: In seinen Händen - Coben, H: In seinen Händen - Caught Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harlan Coben
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noch nie jemanden zusammengeschlagen.«
    »Jetzt hast du’s.«
    »Ich hab auch noch nie auf jemanden geschossen.«
    »Und auch das hast du jetzt getan. Na und?«
    Beide schwiegen. Ed Grayson fühlte sich wohl in der Stille. Hester Crimstein nicht. Sie fing an auf ihrem Schreibtischstuhl herumzuschaukeln, spielte mit einem Kugelschreiber und seufzte theatralisch. Schließlich stand sie auf und durchquerte das Büro.
    »Siehst du das?«
    Ed sah sie an. Sie deutete auf die Statue der Justitia. »Ja.«
    »Weißt du, was das ist?«
    »Natürlich.«
    »Und was?«

    »Soll das ein Witz sein?«
    »Wer ist das?«
    »Die Gerechtigkeit.«
    »Ja und nein. Sie ist unter vielen Namen bekannt. Gerechtigkeit, Blinde Gerechtigkeit, die griechische Göttin Themis, die römische Göttin Justitia, die ägyptische Göttin Maat - oder sogar als die Tochter von Themis, Dike und Astraea.«
    »Äh, und was willst du mir damit sagen?«
    »Hast du dir die Statue mal genau angeguckt? Die meisten Leute sehen erst die verbundenen Augen, und, na ja, das ist natürlich eine eindeutige Anspielung auf ihre Unvoreingenommenheit. Außerdem ist es Unsinn, weil jeder voreingenommen ist. Dagegen kann man nichts tun. Aber guck dir mal ihre rechte Hand an. In der hält sie ein Schwert. Ein Schwert, um den Leuten die Leviten zu lesen. Es repräsentiert die schnelle, oft brutale, manchmal sogar tödliche Strafe. Aber weißt du, nur Justitia - also das System - darf diese Strafe verhängen und vollstrecken. Nur das System, so kaputt es auch sein mag, hat das Recht, dieses Schwert zu benutzen. Du, mein Freund, hast es nicht.«
    »Willst du mir sagen, dass ich das Recht nicht in meine Hände hätte nehmen dürfen?« Grayson zog eine Augenbraue hoch. »Wow, Hester, das ist ja mal ganz was Neues.«
    »Guck dir die Waage an, Schlappsack, die sie in der linken Hand hält. Manche Leute glauben, in den Waagschalen würden die Argumente der beiden Parteien aufgewogen - die der Anklage und der Verteidigung. Andere meinen, es ginge um Fairness oder Unparteilichkeit. Aber überleg mal. Bei einer Waage geht’s doch eigentlich um Gleichgewicht und Balance, oder? Pass auf, ich bin Anwältin - und ich bin mir meines Rufs durchaus bewusst. Ich weiß, dass die Leute glauben, ich würde das Recht untergraben, jedes Schlupfloch nutzen, meine Gegner
piesacken oder übervorteilen. Das stimmt alles. Aber trotzdem bewege ich mich dabei innerhalb des Systems.«
    »Und dadurch ist das in Ordnung?«
    »Yep. Weil das Gleichgewicht gewahrt wird.«
    »Und ich, um in deinem Bild zu bleiben, habe dieses Gleichgewicht zerstört?«
    »Genau. Das ist das Schöne an unserem System. Man kann es dehnen und strecken - und das tue ich weiß Gott immer wieder -, aber wenn man sich innerhalb der vorgegebenen Grenzen bewegt, funktioniert es irgendwie, unabhängig davon, ob man im Recht ist oder nicht. Wenn man das nicht tut, wenn das Gleichgewicht verloren geht - selbst wenn man die besten Absichten hat -, führt das ins Chaos und in die Katastrophe.«
    »Das«, sagte Ed Grayson und nickte, »klingt nach einer gewaltigen Selbstrechtfertigung.«
    Sie lächelte. »Schon möglich. Du weißt trotzdem ganz genau, dass ich Recht habe. Du wolltest einen Fehler berichtigen. Aber dabei ist dann das Gleichgewicht verlorengegangen.«
    »Dann sollte ich es vielleicht wieder herstellen.«
    »So funktioniert das nicht, Ed. Das weißt du doch inzwischen. Halt dich da raus, nur dann kann sich das Gleichgewicht wieder einstellen.«
    »Selbst wenn es bedeutet, dass der Übeltäter ungestraft davonkommt?«
    Sie streckte die Hände aus und lächelte ihm zu. »Und wer ist hier jetzt der Übeltäter, Ed?«
    Schweigen.
    Er wusste nicht, wie er es ausdrücken sollte, also sagte er es ganz direkt. »Die Polizei hat keinen Schimmer, was mit Haley McWaid passiert ist.«
    Hester überlegte. »Wer weiß«, sagte sie. »Vielleicht sind wir es auch, die keinen Schimmer haben.«

SECHSUNDZWANZIG
    D er pensionierte Essex-County-Ermittler Frank Tremont besaß ein kleines Haus im Kolonialstil mit Aluminium-Verschalung, einem kleinen, aber perfekt gepflegten Rasen und einer New York Giants Flagge rechts von der Tür. Die Pfingstrosen in den Beeten leuchteten so hell, dass Wendy sich fragte, ob sie aus Plastik waren.
    Wendy ging die zehn Schritte vom Gehweg und klopfte an die Haustür. Am Erkerfenster bewegte sich ein Vorhang. Einen Moment später wurde die Tür geöffnet. Obwohl das Begräbnis seit Stunden zu Ende war, trug Frank

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