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In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)

In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)

Titel: In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
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betagt.
    »Guten Tag, Kripo Hamburg. Wenn Sie uns bitte hineinlassen würden.«
    »Wollen Sie mich verhaften?«, krächzte es.
    Die Kommissarin lachte. »Vorerst nicht.«
    Darauf ertönte der Summer.
    Sie stiegen in den zweiten Stock empor. Hadice fluchte und krallte sich an das Geländer. Die Krücken hatte Henry ihr galant abgenommen. Die Person, die sie eingelassen hatte, erwartete sie an der Haustür. Offenbar war der Besuch der Polizei eine willkommene Abwechslung im täglichen Alterseinerlei. Es handelte sich um eine winzige, gebeugte Gestalt mit dünnem kurzem Haar und einer enormen Nase. Die Füße steckten in ausgetretenen Herrenpantoffeln. Trotz der Wärme draußen schlotterte ein dicker, giftgrüner Fleecepullover um den zerbrechlichen Körper. Ein Paar Cordhosen vervollständigten das Ensemble.
    »Sie wollen also von der Polizei sein?«, krächzte die Person, deren Geschlecht nach wie vor undefinierbar schien. Eine Polizistin mit Hinkebein im kleinen Schwarzen sah man eben nicht alle Tage. Zwischen den Runzeln blitzten hellwache Augen.
    Scheint wenigstens noch nicht völlig verkalkt zu sein, dachte Hadice. »Guten Tag«, sagte sie, »wir würden Ihnen gern ein paar Fragen zu Ihrem Nachbarn stellen. Reinhold Lehmann.« Hadice nestelte zum dritten Mal an diesem Tag ihren Ausweis hervor.
    Das Persönchen vor ihr winkte mit Händen ab, die zu Klauen gekrümmt waren. Die Finger mündeten in dicke, gelbliche Nägel. »Dann kommen Sie mal rein«, sagte sie und hinkte voran in die Wohnung. Hadice nahm die Krücken von Henry in Empfang und humpelte verbissen hinterher.
    Sie wappneten sich gegen den Geruch nach altem Mensch und ungelüfteten Zimmern, als sie die Wohnung betraten. Doch zu ihrer Überraschung waren die Räume hell und luftig. Die Vorhänge bauschten sich im Wind, der durchs offene Fenster hereinströmte, und verbreiteten einen Duft nach frischer Wäsche. An einer Wand schwang gemütlich eine Standuhr aus dunklem Holz ihr Pendel. Die alte Person ließ sich in einen Armsessel sinken. Sofort sprang ihr eine Katze auf den Schoß. Offenbar ein Straßenkämpfer, dachte Hadice. Die Ohren des Tieres waren völlig zerfleddert.
    »Maria Zurek«, stellte sich die Person vor und enthüllte damit endlich, dass es sich um eine Frau handelte. »Ich wohne seit dreiundfünfzig Jahren in diesem Haus.«
    »Hadice Öztürk«, sagte Hadice. »Und das ist mein Kollege Sibelius.«
    Die alte Frau nickte. »Ich soll Ihnen also von Herrn Lehmann erzählen. Nun, er ist vor ungefähr acht Jahren in die Wohnung nebenan gezogen. Ich kann nicht sagen, dass er ein besonders angenehmer Nachbar war.«
    »Inwiefern?«, wollte Hadice wissen, obwohl sie die Antwort zu kennen glaubte.
    »Offen gesagt, er war ein Trinker. Hat mitunter ziemlich randaliert. Besonders schlimm war es, wenn er mit seinen Saufkumpanen ein Gelage gefeiert hat. Das passierte meist zu Monatsanfang – da waren die Herrschaften flüssig.« Gedankenverloren fuhr die alte Frau mit ihren verkrümmten Fingern durch das Katzenfell. »Dann habe ich immer das Ding hier ausgestellt«, sagte sie und deutete auf den großen fleischfarbenen Verstärker eines Hörgeräts hinter ihrem linken Ohr. »Auf der anderen Seite bin ich ohnehin schon seit dem Krieg stocktaub. Sehen Sie, mitunter können die Gebrechen des Alters tatsächlich noch zu etwas gut sein.« Sie kicherte.
    »Diese Besucher von Lehmann – haben Sie die gekannt?«
    »Oh, ich kenne viele Leute hier im Viertel – zumindest vom Sehen«, sagte die Alte nicht ohne Stolz. »Eine Weile hatte er auch eine Frau bei sich wohnen. Iris hieß die. Nettes Mädchen. Aber sie hat auch getrunken, leider.« Die Falten ihres Gesichts gruppierten sich zu einem bedauernden Ausdruck.
    »Wann ist sie ausgezogen?«, warf Henry ein.
    »Das wird wohl so zwei Jahre her sein.«
    »Und die anderen?«
    »Das waren eigentlich immer die Gleichen. Der eine heißt Gunnar Krause. Hat früher als Fernfahrer gearbeitet. Die anderen beiden kenne ich nicht mit Namen. Aber bei schönem Wetter sitzen die alle meistens draußen am Busbahnhof.« Sie machte eine Handbewegung, als würde sie ein Getränk in sich hineinschütten.
    Hadice nickte. »Wissen Sie, ob er mit noch irgendjemandem hier im Haus Kontakt gehabt hat?«
    »Glaub ich nicht, Kindchen. Das sind ansonsten alles ordentliche Leute, die hier wohnen. Die hatten mit Lehmann nix am Hut.«
    »Sie wissen ja vielleicht, dass Reinhold Lehmann vor zwei Wochen verstorben ist«, hakte Henry nach.
    Die

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