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In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)

In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)

Titel: In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
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Sebastian betont lässig wirken wollen. Er hatte die Finger in die Gürtellaschen seiner Jeans gehakt und den Kragen seiner Jacke hochgestellt.
    Einige Mädchen trugen Leggins in Knallfarben und bunt gesträhnte Haare. »So eine Frisur hatte ich auch mal«, sagte Hanna. »Wie scheußlich.«
    Die Jungen waren entweder grungeartig ungestylt und trugen Flanellhemden im Holzfällerlook, darunter auch Theo. Oder sie trugen hip-hop-artige Baggypants.
    Theo deutete auf ein Mädchen mit runden Wangen. Sie stand ganz am Bildrand und versuchte, sich hinter den Mitschülern vor ihr zu verstecken. »Das hier ist sie. Sanna.«
    Hanna betrachtete das erbsengroße Antlitz auf dem Papier. Ein blasses Mädchengesicht umrahmt von dunklen Locken. Sie hatte den Blick am Objektiv vorbei in die Ferne gerichtet. »Sieht tatsächlich ziemlich traurig aus«, stellte sie fest. »Und die haben Nathalie und ihre Jungs also gemobbt?«
    »Und wie.«
    Hanna runzelte die Stirn. »Das Mädchen da neben ihr, wie heißt die?«
    »Moment.« Theo nahm ihr das Bild aus der Hand. »Das ist Franziska.«
    Sie war ein mageres Persönchen, ganz in Schwarz mit igelartig vom Kopf abstehenden schwarzen Haaren. Trotzig starrte sie mit gerecktem Kinn in die Kamera.
    »Ich dachte, Punk war in den Neunzigern out?«
    »Punk ist nie ganz out.«
    »Guck mal.« Hanna tippte mit dem Zeigefinger auf das Foto. »Ihre Hand liegt auf Sannas Schulter.«
    Theo nahm es ihr aus der Hand. »Stimmt.«
    »Waren die zwei befreundet?«
    »Das weiß ich wirklich nicht mehr.« Er überlegte kurz. »Ich glaube aber, die saßen zusammen an so einem Vierertisch. Mit noch anderen, die ein bisschen außen vor waren …«
    »Schulische Parias?«
    »So in etwa.«
    Hanna zog die Stirn kraus. »Ich denke, wir sollten vielleicht mit ihr reden.«
    Theo kramte die Liste mit Telefonnummern und Adressen hervor, die Pia für das Klassentreffen zusammengestellt hatte. Und richtig, da stand ihr Name: Franziska Richter. »Komisch, ich kann mich gar nicht erinnern, dass sie da war.«
    Der Versuch, sie telefonisch zu erreichen, klingelte ins Leere.
    »Schwentnerring? Wo ist denn das?«, fragte Hanna.
    »Ach, nicht weit von hier.«
    »Vorbeischauen schadet ja nicht.«
    »Aber wenn sie doch nicht ans Telefon geht?«
    »Man kann nie wissen.«
    Hanna sollte wieder einmal recht behalten.
    Die kurze Fahrt dauerte keine zehn Minuten. Wieder verblüffte es Hanna, wie schnell sich die Kulisse in Wilhelmsburg änderte: Von Theos idyllischem Reetdachhäuschen hinterm Deich gelangten sie in ein nüchternes Viertel mit vierstöckigen Mehrfamilienhäusern aus Backstein.
    »Fünfziger- oder Sechzigerjahre, schätze ich«, erläuterte Theo. Sie hielten vor der Hausnummer 9, von der es die Eingänge a bis d gab. »Früher hat hier ein Freund von mir gewohnt. Da hab ich mich anfangs immer verlaufen.«
    Tatsächlich sahen die Häuser aus wie geklont. Aber bei genauerem Blick offenbarte sich auch hier des Menschen Wunsch nach Individualität: Die Fenster schmückten unter anderem kindliche Beispiele von Malerei und ein nicht saisongerechter illuminierbarer Adventsstern. Theo warf noch einmal einen Blick auf den Zettel in seiner Hand und steuerte die Hausnummer 9 d an, die ganz hinten lag. Er drückte auf den Klingelknopf neben dem Namen Richter. Sogleich ertönte der Summer. Er warf Hanna einen raschen Blick zu.
    »Sag ich doch«, sagte sie.
    Im dritten Stock wartete ein vielleicht fünfjähriger Bengel auf sie. »Hatten Sie schon Windpocken?«, schmetterte er ihnen entgegen. »Ich bin nämlich in Kwantäne!« Sein von Pusteln übersätes Gesicht strahlte.
    »Carlito, ab ins Bett mit dir«, schimpfte eine Frauenstimme aus dem Hintergrund.
    Obwohl sie noch immer sehr mager war, hätte Theo seine alte Schulkameradin fast nicht mehr wiedererkannt. Aus dem punkigen Protestgirl war eine erschöpft wirkende, blasse Frau geworden.
    »Franziska«, sagte er. »Ich bin’s, Theo Matthies.«
    »Theo?« Sie strich sich die Haare aus der Stirn. »Was machst du denn hier?«
    Er warf einen kurzen Blick zu Hanna. »Hattest du auch schon die Windpocken?«
    »Klar.«
    »Mensch, Theo, das ist ja echt Ewigkeiten her.« Franziska lächelte müde. »Kommt doch rein.«
    »Tut uns leid, dass wir dich so überfallen. Das ist übrigens Hanna Winter. Eine … meine Freundin.«
    Aha, dachte Hanna. Das ist ja interessant.
    Im Wohnzimmer nahmen sie auf einem abgelebten Achtzigerjahre-Sofa mit buntem, leicht verschlissenem Bezug Platz. Eine Decke, die

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