In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
und Jonas – das Opferquartett, wie er aus einer Distanz von bald zwanzig Jahren belustigt dachte. Obwohl für alles gesorgt gewesen war, was normale Teenager für eine gelungene Party brauchten – Chips, Grillwürstchen, Kuchen und sogar eine Bowle mit sehr viel Limonade und sehr wenig Alkohol, war die Party komplett schiefgelaufen. Sylvia war mürrisch gewesen und hatte sein Geschenk – eine wunderschöne Orchidee – nur mit Verachtung gestraft. Sie hatte ganz offensichtlich keine Lust auf die Party gehabt. Die übrigen Gäste hatten sich unbehaglich gefühlt. Nur Sylvias Tagesmutter war um sie herumgewieselt und hatte verzweifelt versucht, gute Laune zu verbreiten. Die Veranstaltung hatte trotzdem in einem Fiasko geendet. Sylvia hatte sie alle als geistlose Trottel beschimpft, die ihr nur ihre kostbare Zeit stahlen, und schließlich die schöne Orchidee auf dem Boden zertrampelt. Das hatte er ihr nie verzeihen.
Dann erschien zu seiner Verblüffung nun auch noch das Konterfei von Theo auf dem Bildschirm. »Ebenfalls vermisst wird in diesem Zusammenhang der sechsunddreißigjährige Theo Matthies aus Hamburg-Wilhelmsburg«, sagte Miosga.
Theo? Benno nahm einen weiteren Schluck Bier. Stand jetzt etwa Theo unter Verdacht? Das war nun wirklich eine vollkommen lächerliche Idee. Theo war ein Weichei, das keiner Fliege etwas zuleide tun könnte. Ganz im Gegensatz zu ihm, Benno.
Miosgas Blick aus ihren großen Augen war ernst und eindringlich. Und da verstand Benno. Theo stand nicht unter Verdacht. Man fürchtete offenbar, er sei auch verschleppt worden.
Behutsam stellte er die leere Bierflasche auf den weißen hochglanzlackierten Couchtisch. Miosga erzählte etwas über sachdienliche Hinweise. Unten über den Bildschirm kroch eine Telefonnummer der Polizei. Benno griff zur Fernbedienung und löschte das Gesicht der Moderatorin aus. Dann blieb er grübelnd sitzen. Dass Sylvia unter Verdacht stand, kam ihm gut zupass. Er hatte sie immer arrogant gefunden und sie spätestens nach der desaströs verlaufenen Party fast ebenso sehr verabscheut wie Nathalie und ihre Schergen. Er hatte nichts dagegen, ihr Ärger zu machen und sie bei den Bullen zu verpfeifen. Andererseits hatte er nicht die geringste Lust, die Polizei zu kontaktieren.
Er stieg in die Dachkammer hinauf und setzte sich vor den großen Spiegel. Langsam ließ er den Blick über seine kostbare Perückensammlung wandern. Er besaß inzwischen zwölf unterschiedliche Modelle, die meisten von ihnen bestanden aus teurem Echthaar. Welche er trug, wählte er abhängig von seiner Stimmung aus. Er strich mit der Hand über den roten Bubikopf, wickelte eine blonde Locke um seinen Zeigefinger und fuhr dann über den schwarzen Pagenkopf. Genau das Richtige für diesen Abend. Diese Frisur hatte Klasse. Er stülpte sie sich über und tauschte die Glitzerohrringe gegen Perlen aus. Jetzt war die Verwandlung perfekt. Jetzt war er Delilah. Und Delilah hatte eine Idee. Summend tippte sie eine Nummer in ihr Mobiltelefon.
KAPITEL 27
Hanna hantierte nervös mit ihrer Zigarettenschachtel. Bei Lars in der Werkstatt herrschte absolutes Rauchverbot. Normalerweise stöberte sie begeistert in seinem Kuriositätenkabinett herum. Aber jetzt fehlte ihr dafür der Sinn. Ihr gegenüber saß Fatih mit lang ausgestreckten Beinen in seinem Sessel. Seine Augen folgten dem sonst so gelassenen Lars, der ruhelos durch den Raum tigerte. Auch Paul war offensichtlich irritiert. Sein glotzäugiger Blick pendelte zwischen seinem rastlosen Herrchen und Fatih hin und her, als wollte er Letzteren fragen: ›Was ist denn mit dem los?‹
»Setz dich, Digger, du treibst den Hund in den Wahnsinn«, sagte Fatih. Lars leistete der Anweisung zwar nicht Folge, blieb aber immerhin stehen.
»Um 15 Uhr hatte er also den Termin mit diesem Pfarrer. Von dem hat er sich gegen 16 Uhr getrennt, wie May herausgefunden hat. Um 18 Uhr ist er zu einem Kundengespräch nicht aufgetaucht. Und sein Handy ist abgeschaltet.« Er raufte sich die Haare. »Stellt sich also die Frage, was in der Zwischenzeit passiert ist?«
»Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten – entweder er hat einen Geistesblitz gehabt und ist zu jemandem gegangen. Oder er hat jemanden getroffen«, resümierte Hanna.
»In beiden Fällen können wir wohl davon ausgehen, dass er auf den Tollwutkiller gestoßen ist. Und der hat ihn jetzt einkassiert.« Fatih sprach aus, was sie alle dachten.
»Aber er kann doch unmöglich so dämlich sein, so was
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