In sündiger Silvesternacht
Zeit, als die Ausstellung geschlossen wurde. Die Wachen machen kurz vor fünf immer die Runde und stellen sicher, dass alle Besucher draußen sind. Um siebzehn Uhr verschließen sie die Türen, und genau um diese Zeit schalten sich die Infrarotdetektoren ein. Gestern fielen aber die Überwachungsbildschirme im Sicherheitsraum um siebzehn Uhr für zwei bis drei Minuten aus. Es wurde kein Alarm ausgelöst, und nachdem man das System neu gestartet hatte, war alles in Ordnung. Die Halskette mit dem Diamanten lag immer noch in der Vitrine. Chance ließ heute die Bänder der Überwachungskameras überprüfen, doch von den entscheidenden Minuten existieren keine Aufnahmen.“
„Also hat jemand das gesamte System einschließlich der Kameras blockiert, und während dieser drei Minuten wurde der Diamant ausgetauscht“, sagte D. C.
„Dieser Meinung ist Chance ebenfalls. Er vermutet, dass die Diebe durch eine Hintertür in den Raum gelangt sind, die eigentlich nur für Personal zugänglich ist.“
„Hätten sie dazu immer noch Shalnokovs Stimme gebraucht?“, fragte Fiona.
„Chance sagt ja. Aber eine gute digitale Aufnahme hätte genügt.“
Fiona betrachtete das Zeitungsfoto. „Dr. Regina Meyers hatte eine entsprechende Aufnahme.“
„Ja, aber Chance hat sie noch einmal überprüft. Sie ist sauber. Sie arbeitet seit zehn Jahren für Shalnokov, seit er den Rubinov erworben hat. Wenn sie den Diamanten hätte stehlen wollen, hätte sie schon viele Gelegenheiten dazu gehabt. Ich habe mich mit ihr vor der Pressekonferenz unterhalten. Sie war äußerst dankbar, dass der Diebstahl verhindert wurde. Gibt es auf eurer Seite etwas Neues?“
„Wir sind gerade in Amanda Hemmings Wohnung und haben einen Ordner mit Zeitungsausschnitten gefunden. Es handelt sich um eine Sammlung sämtlicher Artikel, die bis heute über die Rubinov-Ausstellung veröffentlicht wurden. Wie es aussieht, war sie völlig auf die Halskette fixiert“, sagte Fiona.
„Gute Arbeit. Halte mich auf dem Laufenden“, äußerte Natalie und beendete das Gespräch.
Eine Weile lang herrschte Schweigen. Dann konnte Fiona nicht mehr an sich halten und platzte heraus: „Ich sitze hier und sage mir ständig, Amanda ist wohl nicht die einzige Person, die Zeitungsartikel über den Rubinov sammelt.“
„Das ist sie wahrscheinlich auch nicht. Der Stein scheint eine ganze Menge Leute zu faszinieren.“
„Stimmt. Aber diese Mappe kann auch als weiterer Hinweis gewertet werden, dass Amanda in dem Raub verwickelt war. Allerdings merke ich, dass ich immer wieder versuche, ihre Unschuld zu bestätigen.“
„Warum stellst du deine Instinkte infrage?“
Seine sachliche Art beruhigte sie. Sie ließ den Blick durch den Raum schweifen und sammelte sich. „Ich identifiziere mich zu sehr mit ihr. Wir waren beide noch sehr jung, als wir unsere Eltern verloren haben und kamen in Pflegefamilien. Aber es gibt noch mehr Parallelen. Ich habe die Polizeiakademie als einen Weg in die Unabhängigkeit betrachtet und ich wette, Amanda hat den Dienst bei der Army ähnlich gesehen. Als ich meine erste Wohnung fand, die übrigens noch kleiner war als diese, habe ich mir sehr viel Mühe beim Einrichten gegeben. Deshalb weiß ich, wie viel Zeit sie aufgebracht hat, um diese Möbel hier auszusuchen.“
Als sie sich bewegte, knackte das Sofa erneut. „Hier steht auch kein Weihnachtsbaum. Eigentlich gibt es hier überhaupt keine Weihnachtsdekoration.“
„Weihnachten in der Pflegeunterbringung muss ziemlich hart sein.“
Sie wandte sich zu ihm und sah in seine grauen Augen, die so viel zu erkennen schienen. Als er ihre Hand in seine nahm, erfasste sie plötzlich eine Welle von Gefühlen. Fiona konnte sie weder benennen noch verstehen. Sie wusste nur, dass sie absolut nichts mit Amanda Hemmings oder dem Fall zu tun hatten. Und, dass niemand anders sie hätte auslösen können als D. C. Campbell.
In dem kleinen Raum konnte sie auf einmal jeden seiner Atemzüge überdeutlich hören. Dieses Geräusch – schon allein dieses Geräusch – erfüllte sie mit einer brennenden Sehnsucht. Sehnsucht und Leidenschaft, wenigstens diese Gefühle vermochte sie zu verstehen. Und sie war froh darüber, dass sie sie empfand.
Kein Zweifel, sie begehrte D. C. Keiner von ihnen rührte sich, doch sie sah, wie seine Augen dunkler wurden, und ihr war klar, dass er dasselbe fühlte wie sie. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sein Oberschenkel ihr Bein berührte. Der kleine Raum schien plötzlich noch enger
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