In sündiger Silvesternacht
die den Blickkontakt beendete und sich umdrehte.
Gegen seinen Instinkt, der ihn ausdrücklich warnte, stieß er sich von der Wand ab und ging zu ihr. Bei jedem Schritt sagte er sich, er sollte es sich noch einmal überlegen und lieber die Gesellschaft einer anderen Frau suchen, aber er blieb erst dicht hinter ihr stehen. Elizabeth musste sein Herannahen gespürt haben, denn ihre Haltung veränderte sich.
„Ich dachte mir schon, dass Sie in der Nähe sind, als Tania mir erzählte, jemand hätte ein Pimm’s bestellt“, sagte er.
Sie wandte sich nicht um, zuckte nicht einmal zusammen.
Nathan lächelte. Seit der dritten Klasse war er nicht mehr mit Schweigen bestraft worden. Es hatte schon damals nicht funktioniert.
Er lehnte sich ein wenig näher hinüber und flüsterte ihr ins Ohr: „Möchten Sie, dass ich verschwinde, Betty?“
„Was glauben Sie?“, fragte sie, ohne sich zu rühren.
Er war ihr so nah, dass er die feinen blonden Härchen an ihrem Nacken sehen konnte. „Ich glaube, dass das ein ziemlich langer Blick war, den Sie mir eben gerade geschenkt haben.“
Endlich drehte sie sich zu ihm um. Ihre Augen wurden groß, als sie merkte, wie dicht er vor ihr stand. Rasch trat sie einen Schritt zurück und verschränkte die Arme schützend vor der Brust.
„Angst vor mir, Betty?“, fragte er amüsiert.
„Natürlich nicht. Und übrigens heiße ich Elizabeth.“
Er hielt den Kopf schräg. Bildete er es sich nur ein, oder klang ihr Akzent noch hochnäsiger?
„Elizabeth ist ein ziemlich strenger Name, finden Sie nicht? Dabei muss ich an alte Ladies mit Zepter und Keuschheitsgürtel denken.“
„Es ist ein sehr alter, sehr traditioneller Name, und es ist zufällig der Name, den meine Eltern für mich ausgesucht haben.“
„Wie ich schon sagte: streng.“
Sie holte tief Luft. Nathan lächelte noch breiter. Sie war so spröde, so korrekt – und so ungeheuer leicht zu provozieren. Er hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß gehabt.
„Was genau wollen Sie, Mr Jones?“
Er trank einen Schluck und ließ den Blick von ihrem Kinn zum Ausschnitt ihres Kleides schweifen. Der Duft ihres Parfums stieg ihm in die Nase, leicht und frisch mit Zitrusnote.
„Nur nett sein. Mich vergewissern, dass Sie gut untergebracht sind“, erwiderte er.
Sie musterte ihn kühl. „Vielleicht wären Sie so freundlich, mich aufzuklären. Soll mich das alles beeindrucken? Ihr Lächeln, die Andeutungen und die Tatsache, dass Sie zu dicht vor mir stehen?“
„Was glauben Sie?“
„Ich versichere Ihnen, das wollen Sie gar nicht wissen.“
„Ich kann mit Kritik umgehen, Betty. Schießen Sie los.“
Sie sah ihn von oben herab an, was bei dem Größenunterschied zwischen ihnen eine erstaunliche Leistung war. „Meine Großmutter hat mir beigebracht, wenn man nichts Nettes über jemanden sagen könne, solle man gar nichts sagen.“
„Ihre Großmutter. Das erklärt allerdings einiges.“
Elizabeth kniff die Augen zusammen. „Na schön, da Sie darauf bestehen, sollen Sie wissen, was ich über Sie denke: Sie scheinen sich einzubilden, dass Ihr überproportionierter Körper und ein einigermaßen gutes Aussehen Ihnen den Freibrief geben, sich bei Frauen alles herausnehmen zu können.“
Er lachte. „Überproportioniert? Welche meiner Körperteile meinen Sie damit?“
Fasziniert beobachtete er, wie sie errötete.
„Sie haben die hellste Haut, die ich je gesehen habe“, murmelte er. Alle anderen in der Bar waren braun gebrannt, doch sie stach rein und kühl wie eine Lilie aus der Menge hervor. Er strich mit dem Daumen über ihre Wange. Ihre Haut fühlte sich weich und glatt an wie Seide.
Sie schluckte hörbar. „Geht es Sie etwas an?“
„Wissen Sie, das könnte tatsächlich sein, Betty“, antwortete er zu seiner eigenen Überraschung.
Er ließ die Hand sinken. Eigentlich hatte er sie nur necken wollen, um die Zeit totzuschlagen und sich zu amüsieren. Aber sie war nicht der Typ, mit dem man sich amüsierte. Sie war … beunruhigend anders mit ihrem vornehmen Akzent, dem stolz erhobenen Kinn und dem unsicheren Blick. Einen Augenblick lang sahen sie sich schweigend an.
„Ich werde nicht mit Ihnen schlafen, Mr Jones.“
Das brachte ihn wieder zum Schmunzeln. „Niemand hat Sie darum gebeten, Betty.“ Dann, weil sie ihm zu kompliziert, zu beunruhigend, zu herausfordernd erschien, hob er sein Glas. „Cheers“, sagte er, drehte sich um und ging, bevor sie etwas erwidern konnte.
Nathan Jones war einfach
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