In tiefster Dunkelheit
Ich kann auf mich selbst aufpassen. Wells und ich hatten die Situation unter Kontrolle.« Sie schüttelte seine Hände mit einem Schulterzucken ab. »In diesem Augenblick sollten wir mit den Murrays reden, statt lächerliche Machtspielchen zu spielen.«
Wieder einmal widerstand Dan dem Drang, sie zu schütteln. Doch dieses Mal fiel es ihm noch schwerer als sonst. »Was ihr herausgefunden habt, du und Wells, ist sehr interessant. Aber ich kannte Detective Newberry. Er war ein guter Mann und ein verdammt guter Detective. Wenn er keine Verbindung zwischen dem Murray-Jungen und dem vermissten Mädchen finden konnte, dann gab es keine.«
Jess verdrehte die Augen. »Bist du dir da sicher, Burnett? Oder nimmst du nur an, dass er keine Verbindung finden konnte, weil er zu eurem Männerclub gehörte? Ich weiß doch, wie zuverlässig ihr euch gegenseitig Rückendeckung gebt.«
Der Ärger, den er die ganze Zeit mühsam zurückgehalten hatte, flammte auf. »Du musst immer unbedingt recht behalten, nicht wahr? Ganz egal, welche Konsequenzen es für dich oder die Menschen um dich herum hat. Nur deine Sicht der Dinge zählt.«
»Das ist doch absurd.« Sie hob das Kinn. »In diesem Fall sind meine Sicht und die Fakten ein und dasselbe. Das ist das, worüber wir hier sprechen, oder? Der Fall? Fünf vermisste Mädchen?«
Aus der Flamme wurde ein brüllendes Inferno. »Genauso war es in dem letzten Sommer, als wir zusammen waren.« Er vermochte kaum noch klar zu denken. Obwohl er es wusste, konnte er nichts tun, außer weitermachen. »Da hast du einsam entschieden, dass es für uns nur eine gemeinsame Zukunft geben kann, nämlich die von dir geplante. Dass ich möglicherweise leicht andere Prioritäten hatte, hat für dich nie gezählt.«
Sie lachte, trocken und gequält. »Wir waren seit vier Jahren zusammen. Ich glaube, ich habe deine Prioritäten so gut gekannt wie niemand sonst. Zumindest bis dein Ego wichtiger wurde als alles andere.«
Zu seiner Verblüffung traf ihn diese Bemerkung so heftig, dass er schier den letzten Rest von Vernunft und Selbstbeherrschung verlor. »Okay, ja.« Innerlich bebte er vor Wut, versuchte aber, gefasst zu bleiben. »Als ich diese Praktikumsstelle nicht bekam, war ich enttäuscht und mein Ego war verletzt. Ist es das, was du hören willst?«
»Ich muss es nicht hören. Ich weiß das seit zwanzig Jahren!«
Der Kiefer tat ihm weh, weil er die Zähne so fest aufeinanderbiss. »Außerdem machte es mir zu schaffen, dass meine Familie hier war. Damals war ich mir nicht sicher, ob ich wirklich den Rest meines Lebens in einem weit entfernten Teil des Landes verbringen will.« Er versuchte sich zu beruhigen. Vergebens.
»Nun, dann hast du wohl vergessen, das mir gegenüber zu erwähnen.«
Er nahm sich einen Moment Zeit, um wenigstens den Anschein von Fassung wiederzugewinnen. »Ich wollte nicht der Grund sein, dass du deinen Traum nicht verwirklichst.«
»Wie nobel von dir.«
»Du hattest nichts, was dich zurückhielt. Deine Schwester lebt zwar hier, aber das ist etwas anderes. Meine Eltern werden nicht jünger. Ich wusste, irgendwann würden sie mich brauchen. Mir wurde klar, dass mein Platz hier war.«
»Als wenn Katherine Burnett je jemanden brauchen würde«, sagte Jess verächtlich. »Sie war es doch bestimmt, die dich überredet hat zurückzukommen. Sie hat mich ohnehin nie gemocht.«
Jess und seine Mutter hatten keinen guten Start gehabt, und auch mit der Zeit war ihre Beziehung nicht besser geworden. Doch was seine Mutter von Jess hielt, war Dan immer egal gewesen. »Sie hat mich zu gar nichts überredet. Es war meine freie Entscheidung, einen Schritt zu unternehmen, der am besten für dich und für mich war. Du wolltest frei sein von den Verpflichtungen einer Familie, ich nicht. Es hat nur eine Weile gedauert, bis ich das kapiert und akzeptiert habe und die richtige Konsequenz ziehen konnte. Und es war die richtige Konsequenz, Jess. Für uns beide.«
Sie presste die Lippen aufeinander. Ihre dunklen Augen funkelten zornig. »Glaubst du? Ich meine, schließlich musstest du ja nichts weiter tun, als dich gegen mich zu entscheiden.«
»Du hattest dich doch längst gegen mich entschieden.«
»Wow, das haben wir wirklich toll hingekriegt, was?« Sie schüttelte den Kopf. »Du kamst hierher zurück und hast drei Mal geheiratet, was jedes Mal mit einer Scheidung endete. Ich habe so getan, als hätte ich kein Privatleben, bis jemand des Wegs kam und mich mit der Nase darauf stieß. Und nun
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