In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
blickte auf seine breiten Schultern und war froh, daß die so stämmig waren.
Im selben Augenblick sprangen Merdanson und die Altschüler vom Podium und kamen mit mörderischem Gebrüll den Mittelgang herauf. Und wären diese Irren mit Degen oder Piken bewaffnet gewesen, hätten sie uns bestimmt den Garaus gemacht.
An Zahl waren uns die Angreifer überlegen, wir aber waren geländemäßig im Vorteil, da die schmalen Bankreihen die Truppe einschnürten.
»Eure Füße, Moussu«, flüsterte Miroul, »benutzt Eure Füße, wie Ihr es tatet, als ich in Mespech stibitzte.«
Ein guter Ratschlag, denn kaum war Merdanson, gemeine Flüche speiend, in meiner Reichweite, verpaßte ich ihm einen Stiefeltritt vor die Brust, der ihn in die Arme seiner Kumpanei warf. Und während ich mich in den folgenden Minuten wie ein brünstiger Hengst verteidigte (sehr in Grimm, daß ich nur zwei und nicht vier Hufe hatte), wurde ich dennoch gewahr, daß Carajac gute Arbeit leistete mit den schrecklichen Windmühlenflügeln seiner Arme, und mehr noch Miroul mit seinem Beinestellen und heimlichen Tricks, die seine besondere Kunst waren. Dagegen mein lieber Samson, etwas langsam im Begreifen wie im Ausführen und in seiner engelhaften Natur wenig geneigt, seinesgleichen ein Leid anzutun, erst munter wurde, als Gast und Rancurel ihn zum Gefangenen machen wollten.
»Meine Herren, was soll das?« fragte er höflich. Und griff sich Gast mit der Linken, Rancurel mit der Rechten, plauzte sie gegeneinander und katapultierte sie in die anrennende Meute. War das ein kapitaler Sturz, liebe Leute! Ich hatte es nicht gesehen, doch noch nach einem Jahr erzählte man darüber Geschichten in der Rue du Bout-du-Monde.
Luc unterdessen, von schwacher Konstitution und darum dem Prügeln abhold, jedoch von bestem Mut und großer Redegabe, spornte die Novizen, Apotheker und Chirurgen an, uns zu Hilfe zu eilen, schalt sie Feiglinge, Memmen, Kälber und Hammel.
»Schämt ihr euch nicht, da in der Ecke zu bibbern, anstatt kräftigen Handschlag zu leisten für unsere Kämpen?« rief er. »Siorac ist Novize, und ihr andern Novizen, was tut ihr? Samsonist Apotheker, und was tun die anderen Apotheker? Carajac ist Chirurg, was aber tun seine Brüder? Nichts! Die drei schlagen sich für euch, und ihr Jämmerlinge duldet es, daß sie zusammengeschlagen werden!«
Sein Eifern blieb nicht ganz ohne Wirkung, und die Heldentat Samsons gab den Ausschlag. Als die Alten uns einzukreisen versuchten, indem sie über die Bänke stiegen, stellten die Neuen sich ihnen auf gleichem Wege entgegen, und mochten sie noch so lasch kämpfen (ein wenig Angst und Respekt vor den Alten war ihnen geblieben), sie hinderten dennoch die Angreifer, uns zu umzingeln. Zudem letztere, als sie unsere braven Schafe anrücken sahen, kleinlauter wurden.
Nun sich das Kriegsglück zu unseren Gunsten wenden mußte, dröhnten mitten ins Kampfgeschrei drei kräftige Hammerschläge, und wir gewahrten hinter dem Podiumstisch, schrecklich in seinem Zorn, Kanzler Saporta. Zu seiner Rechten stand Doktor d’Assas, zu seiner Linken der Bakkalaureus Fogacer, während Pedell Figairasse, vor dem Podium, mit seinem Stock die Luft geißelte.
»Du Schuft!« fauchte Merdanson den verbeulten, hinkenden Rancurel leise an, »du hast sie doch wegfahren sehen mit deinen beschissenen Augen!«
»Bei Gott, ja!« sagte Gast, kaum weniger übel zugerichtet. »Sie sind umgekehrt: es war Kriegslist!«
»Ruhe!« donnerte Saporta.
Und Stille trat ein, wir reglos gebannt unter dem Blick des Kanzlers, bis er endlich in grimmigem Ton, dem gleichwohl etwas Theater anhaftete, zu sprechen begann:
»Meine Herren Scholaren, eben erst habt Ihr geschworen, die Statuten zu wahren und in diesen Räumen nicht handgemein zu werden, aber schon ist der Eid gebrochen! Ja wo bin ich denn hier? (Er beschrieb mit seinen langen Ärmeln eine majestätisch ausholende Geste.) In der ehrwürdigen Schule, der ich als Kanzler vorstehe? Oder bei den Stallknechten von Monsieur de Joyeuse! bei den Schnapphähnen der Rue des Etuves! Habe ich nicht
coram populo
vorgelesen, daß Schüler, die einander mit Hieben, Backpfeifen, Nasenstübern und Fußtritten traktieren, mit der Rute gezüchtigt werden? Demnach müßte ich Euch
allesamt
züchtigen lassen!«
Er brüllte das
allesamt
so ungestüm wie seinerzeit das
schriftlich.
Es war seine übliche Art, die Geister in Schrecken zu versetzen. Was ihm auch hier gelungen war, ablesbar an den bedepperten Mienen unserer
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