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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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»Freunde, dieser Tote macht mir Sorge. Steht uns eine Epidemie ins Haus?«
    »Keineswegs«, sagte Merdanson. »Von Saporta weiß ich, daß wir im Hospital jedes Jahr solche Fälle haben, ohne daß sich eine Epidemie ausbreitet. Aber ohne Trank aus dieser Flasche wäre ich sehr bekümmert. In dieser beschissenen Stadt verbündet sich alles gegen die Medizin. Vor noch nicht einer Woche hat uns der Profoß den Leichnam eines Hingerichteten verweigert, den er lieber an den Ästen eines Ölbaumes verfaulen läßt, zu niemandes Nutzen. Und heute nun erdreistet sich dieser Russec, uns einen pestenden Kadaver anzubieten. Teufel, die Medizin ist am Ende, wenn wir nicht mehr sezieren können. Dabei lehrt mich in einer Viertelstunde das Skalpell des Prosektors viel mehr als die Vorlesung über Hippokrates in drei Stunden. Aber Fötus Bazin hat uns die Sektionen auf vier pro Jahr beschränkt. Und acht wären erforderlich! Wirtin, wenn ich dich schon nicht anfassen darf, dann wenigstens vermache dein schönes Fleisch der Schule, damit ich dich nach deinem Tod zerschnippeln kann.«
    »Von wegen!« sagte die Wirtin, die eine Flasche brachte, »ich will nach christlicher Art heil begraben werden.«
    »Wir sind wirklich arm dran, die Schule besitzt noch nicht einmal ein Skelett«, sagte Carajac. »Ist das nicht ein Skandal? Wer soll ohne Skelett die Knochenverbindungen anschaulich machen?«
    »Mir kommt da ein Gedanke«, sagte Merdanson. »Töten wir doch Russec, um ihn für immer von seinem stinkenden Atem zu heilen, ihm und uns allen zum Vorteil. Töten wir ihn undmachen daraus ein Skelett. Die Arbeit wäre halb schon getan, da ihm die Haut an den Knochen klebt. Machen wir aus dem häßlichen Wächter ein schönes Skelett.«
    »Freunde, leert diese Flasche ohne mich«, sagte ich, weil ich plötzlich einen Einfall hatte, der zu dem Thema in keiner Beziehung stand. »Ich sehe hier einen Edelmann, mit dem ich sprechen möchte.«
    Als Baron Caudebec mich kommen sah, erstickte er fast an der großen Bigorrer Wurst, die er gerade verschlingen wollte. Mit grimmiger Miene griff er nach seinem Langdolch, als ihm wohl Cossolats Drohung einfiel; also besann er sich und grüßte mich höflich mit einem Kopfnicken, doch ohne sich zu erheben. Auch lud er mich nicht zum Sitzen ein.
    Ich ärgerte mich tunlichst nicht darüber, bat die Wirtin, mir einen Schemel zu bringen, setzte mich vor Caudebec hin und sprach heiter und laut:
    »Baron, welch Vergnügen, Euch wiederzusehen nach der gefahrvollen Reise, Eure Mönche desgleichen und Eure bezaubernden Damen (hierauf unsere Normanninnen Verbeugung machten und mir zulächelten). Rom, heißt es, sei die schönste aller Städte. Was meint denn Ihr?«
    Caudebec, seine Wurst schlingend, ließ ein Grunzen vernehmen.
    »Ha! dessen war ich gewiß, daß die Ewige Stadt Euch gefallen würde«, sagte ich. »Und hat der Himmel Eure Gebete erhört? Habt Ihr gute Nachricht über das gesundheitliche Befinden von Madame de Caudebec?«
    »Mitnichten, Monsieur«, sprach Caudebec, nachdem er seinen Becher geleert. »Sie ist gestorben, die Undankbare, vor einem Monat, als ich grad erst in Rom eintraf. Ah, Monsieur, mein Zorn ist gewaltig! Sie hat mich angeschmiert! Hätte sie nicht warten müssen, bis ich in Sankt Peter mein Gelübde tat?«
    »Monsieur, vergebt ihr. Kein Lebender sucht sich die Todesstunde aus. Erst heute morgen sah ich im Spital einen jungen Mann auf dem Strohsack liegen, mit einer Pestbeule in der Leiste und einer Blatter am Fuß.«
    »Was!« rief Caudebec, seinen Wein hervorprustend, »eine Pestbeule? Blattern? ein Pestkranker?«
    »Deren haben wir etliche in der Stadt, die trotzdem gesund ist«, erwiderte ich mit argloser Miene.
    »Gesund, Herr?« Er erhob sich und rief: »Mönche, sammelt unsere Leute, wir reisen ab! Potz Daus! Nicht einen Augenblick länger bleibe ich in dieser verseuchten Stadt!«
    »Monsieur, dann wollen wir als gute Freunde scheiden, mit herzhaftem Händedruck.«
    Ich streckte ihm die rechte Hand entgegen, er aber tat einen Satz zurück, warf dabei seinen Schemel um.
    »Monsieur!« schrie er. »Faßt mich nicht an! Vielleicht seid Ihr schon infiziert!«
    »Aber ich habe den Toten doch nur ein bißchen betastet. Greift nur zu, Baron, Eure Hand!«
    Entsetzt wich er immer weiter zurück. Ich trieb ihn um den Tisch herum, so wie er mich vor zwei Monaten vor sich her gejagt hatte. Als er den Tisch umrundet hatte, floh er die Treppe hinauf und schloß sich, mit zweifacher Drehung des

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