In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
ein harter Schlag für ihn in seiner engelhaften Unschuld. So war ich sehr im Grübeln, wie ich ihm diesen Kummer am besten ersparte, darüber ich meine Sorgen um Fontanette beinahe vergaß.
Den ganzen Tag und die folgende Nacht ging mir das durch den Kopf, und noch am Morgen hatte ich keine Lösung, wie diese Circe abzubringen war von Samson und von Cossolat und auch von mir, denn daß sie den Mannsbildern so zugetan war, brachte auch mich in Versuchung, sosehr ich schauderte bei dem Gedanken, meinen armen Bruder unter Thomassines Dach zu betrügen.
Selbst während ich in der Schule Saportas Kommentaren über Avicenna folgte, peinigte mich diese Geschichte. Als mich Saporta nach der Vorlesung an sein Pult rief, dachte ich schon, er wolle mich für meine Unaufmerksamkeit tadeln. Doch er zitierte auch Merdanson und den Chirurgenlehrling Carajac nach vorn. Und nachdem er uns von seinem Pult herab mit dräuenden Augen gemustert hatte (er wollte uns stets das Gefühl eingeben, unsere momentane Unschuld sei in Form und Substanz nur die Vorstufe unserer künftigen Schuldhaftigkeit), sagte er, der Spitalwächter sei bereit, der Schule den Leichnam eines soeben verstorbenen Bettlers zu überlassen, wir sollten uns hinbegeben und uns den Kadaver anschauen, ob er sich zum Sezieren eigne.
Wir gingen hin, ein bißchen stolz auf unsere Mission. Der Spitalwächter war ein häßlicher Glatzkopf von stinkendem Atem. Seine auffällige Magerkeit nannte Merdanson mit leiser Stimme »interessant«; mich mit dem Ellbogen anstoßend, fügte er hinzu: »Verstehst du, was ich meine?« Der Wächter, Russec mit Namen, führte uns in einen dunklen kleinen Raum (die Vorhängewaren zugezogen), wo ein so entsetzlich süßlicher, pestender Geruch herrschte, daß wir auf der Schwelle stehenblieben und lieber den Gestank aus Russecs Maul in Kauf nahmen. Mitten im Raum eine Holzpritsche, auf der unter einem schmutzigen Laken der Leichnam lag.
»Meine Herren Scholaren«, hob Russec an und hauchte uns seinen ekligen Atem ins Gesicht, »ich wette, einen so schönen Burschen habt Ihr noch nie gesehen. Er ist jung und kräftig, ihm fehlt nichts außer dem Leben, und das hat er erst heute morgen ausgehaucht: einen frischeren Toten findet Ihr nicht. Aus Liebe zur Medizin überlasse ich ihn Eurer Schule gutwillig für bare fünf Sols und keinen Heller mehr.«
»Fünf Sols, das gilt es zu überlegen«, sagte Merdanson, »wir kaufen nicht die Katze im Sack, erst wollen wir ihn uns anschauen. Zieh die Vorhänge auf, und nimm das Laken fort!«
Russec tat, wie geheißen, Sonnenhelle drang in den Raum, dann packte der Wächter, großen Abstand wahrend, das Tuch mit den Fingerspitzen und zog es fort. Wir trauten unseren Augen kaum: der Kadaver wies in der Leistengegend eine Pestbeule auf und eine Blatter am rechten Fuß.
»Siorac! Carajac!« sagte Merdanson, als er nach dem Schreck endlich den Mund aufbekam. »Ihr seht, was ich sehe! Heiliger Bimbam, nichts wie fort von hier!«
Und alle drei rannten wir wie irre über den Korridor des Spitals, uns hinterdrein Russec.
»Was denn, gefällt er Euch nicht? Hat er einen Makel?«
»Und ob! Einen gewaltigen!« rief Carajac, ohne sich umzudrehen.
»Dann senke ich den Preis um ein Viertel«, rief Russec.
»Wir wollen ihn nicht geschenkt!« rief Merdanson und rannte als erster zum Portal hinaus.
Ha! wie frisch war die Luft fern dem stinkenden Wächter und der pestenden Pritsche!
»Freunde, erholen wir uns«, schlug ich vor. »Die Drei Könige sind nahebei. Die Wirtin ist schön. Ich spendiere Euch Wein und Speise: füllen wir unsere Kanäle und Adern mit rotem Blut, machen wir sie dicht gegen die Ansteckung.«
»Das ist gute, vorsorgliche Kur«, sagte Merdanson. »Von Ambroise Paré in seiner Abhandlung über die Pest empfohlen.«
»Das unterschreibe ich«, sagte Carajac (er sprach wenig, doch stets zutreffend), »aber was tut die Wirtin zur Sache?«
»Schönheit heilt das Auge von gräßlichen Anblicken.«
Kaum hatte ich dies gesagt, verabreichte die Wirtin Merdanson eine Ohrfeige, der in ihre Küche vorgedrungen und ihr die Kruppe betatscht hatte.
»Auweh, die Schelmin hat eine kräftige Handschrift!« sagte Merdanson. »Trotzdem werde ich diese Nacht von ihren köstlichen Rundungen träumen.«
»Schamloser Kerl, noch eine Ohrfeige gefällig?«
»Was denn, ohne daß ich angefaßt hätte?« ereiferte sich Merdanson.
Als die Wirtin die Speisen aufgetragen und sich zurückgezogen hatte, sagte ich:
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