In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
rechnen, aber nicht lesen.
»Noch nie hörte ich«, sagte sie nach kurzer Pause, »daß der Zauber je aufgehoben wurde, außer im Falle eines Bauern in meinem Dorf, der dem Pfarrer gleich am nächsten Tag beichtete.«
»Du vergißt, Thomassine, daß ich Hugenotte bin und die Beichte ablehne. Im übrigen: wenn Beichten hülfe, hätten dann so viele Burschen durch die Senkelverknotung zu leiden?«
»Das ist wahr«, seufzte sie. »Zudem war der Pfarrer jenes Bauern selber ein bißchen Zauberer – Zauberer im guten Sinne freilich.«
»Und lebt dieser gute Zauberer noch in deinen Cevennen? Heiliger Antonius, sage mir seinen Namen und wo er wohnt, dann sattle ich mein Pferd und eile hin, dem Papisten zu beichten.«
»Er ist gestorben«, sagte die Thomassine.
Da starb auch diese Hoffnung in mir. Ich sah mich endgültig verdammt, die Bitternisse und Martern der Keuschheit zu durchleben, die von unseren Kirchen als große Tugend gepriesen wird, die ich aber verabscheue, weil sie wider die Natur ist.
Der Leser wird fragen, warum ich nach dem bösen Zauber nicht zu einem Prediger meines Glaubens ging. Ich hatte dies wirklich erwogen! Doch unsere Pastoren waren strenge, unbequeme Leute, die schnell Verdacht schöpften, das Opfer einer Hexerei sei selber nicht ganz unschuldig daran. Und hierin irrten sie ja nicht. Im übrigen achtete ich meine Pastoren zu sehr, als daß ich sie hätte täuschen mögen (welche Skrupel ich bei einem auf klingende Münze versessenen Papisten nicht kannte). Ich hätte alles sagen müssen oder nichts. Und weil ich zurückschreckte vor dem »alles«, das die Grabschändung und den Beischlaf mit der Zauberin einschloß, wählte ich das »nichts«.
Entmutigt verließ ich das Nadelhaus in der Gewißheit, daß mir nach dem beschämenden Scheitern bei der Thomassine Gleiches auch bei Madame de Joyeuse widerfahren würde. Ich erwartete den Mittwoch in so bohrender Furcht, daß ich drei Nächte lang kein Auge zutat. Ganz bleich erschien ich dann vor ihr und bat mit matter Stimme um ein Zwiegespräch. Sie, alarmiert von meinem Ton und Aussehen, entließ die Damen ihres Gefolges und empfing mich im Alkoven, auf ihr Lager hingestreckt, indes ich beschämt vor ihr saß und überlegte, wie weit ich in meinem Geständnis gehen sollte. Denn anders als die Thomassine würde Madame de Joyeuse sich nicht mit einer verkürzten Fassung begnügen, sondern nach dem Wie und Warum des großen Zorns fragen, den ich bei der Mangane erregt hatte, und wenn ich es ihr enthüllte, müßte ich dann nicht auch den Rest gestehen?
»Ha, Liebster«, sprach sie endlich mit ihrer milden Stimme, »ist es gar so schlimm, daß Ihr es auch vor mir verschweigen müßt? Wißt Ihr nicht, daß ich Eure Freundin bin und daß, was immer Ihr begangen haben mögt, Ihr meiner Hilfe und Freundschaft gewiß seid?«
Ich vergoß Tränen der Rührung, konnte aber nicht sprechen.
»Mein Pierre, hockt nicht da wie ein Tropf. Kommt her in meine Arme und erzählt mir jetzt alles – ich bestehe darauf!«
Dieser Ton zeigte Wirkung. Ich gehorchte, wie ich es immer tat, auch weil sie fünfzehn Jahre älter war als ich und eine vornehme Dame, die ich bewunderte; vor allem aber tat ich es aus Dank für ihre wunderbare Güte. Und so erzählte ich also, an ihren sanften Leib gekuschelt, verschwieg nichts und beschönigte nichts in der Gewißheit, daß sie mir alles verzeihen würde. Ha, ihr Papisten, sagt an: kann es einen besseren Beichtvater geben als das liebende Wesen?
Freilich unterbrach Madame de Joyeuse meinen Bericht gelegentlich mit Ausrufen, die Ereiferung, Tadel und Abwehr verrieten: »Aber Pierre, wie konntet Ihr nur! … Ha, Liebster, das ist unehrenhaft! … Jesus, wie schändlich! … Pfui, das ist wider alle Gesetze! … Hat man Ruchloseres je vernommen? … Einer Hexe beiliegen! auf einem Grab! …« Doch jedesmal stellten ihre Gebärden die Worte in Abrede, wenn sie mir mit der einen Hand zärtlich durchs Haar fuhr, mit der anderen sanft meine Schulter preßte und mir zu verstehen gab, daß sie trotz alledem ihren Freund in mir sah.
Dann war vom Schlimmsten zu reden: was in der Rue de la Barrelerie sich zugetragen hatte. Sie blieb zunächst stumm, rührte keinen Finger. Nach einigem Seufzen – halb wohl aus Mitleid mit mir, halb aus Selbstmitleid – erwiderte sie dann, auf Trost bedacht:
»Monsieur de Joyeuse, der die Welt kennt, hat für solchen Hokuspokus nur Spott übrig. Er sagt, das Senkelverknoten sei weder Teufelswerk noch
Weitere Kostenlose Bücher