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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Engel, sann ich, gut tust du, die Augen zu schließen, und sei es nur vor deiner Tugend, die ich arg wanken sehe.
    Mirouls beide Araberpferde, Albière und auch meine Stute hielten diese rührende Szene den Blicken der Pilger verborgen, was Dame Gertrude, wette ich, nur lieb war, denn die christlichen Barmherzigkeiten können der Zeugenschaft sehr wohl entbehren. Ich selbst war mit meiner Accla befaßt, nicht minder Miroul mit seinen Pferden, doch blitzte sein kastanienfarbenes Auge, sooft es sich mit meinem Blick kreuzte.
    »Aber er wird ohnmächtig, scheint mir«, sagte Dame Gertrude.
    »Madame, gebt ihm zwei Ohrfeigen, dann kommt er wieder zu sich«, riet ich.
    »Mein Gott, nein! ich bin eine Frau«, sagte Dame Gertrude. »Es steht der Bescheidenheit meines Geschlechts nicht an, einen Edelmann zu schlagen.«
    »Dann macht es wie unsere Amme Barberine, die ihm, damit er zu sich käme, nach perigurdinischer Sitte viele Küßchen gab.«
    »Ha, das fügt sich besser zu meiner Anmut«, gestand sie mit einem Seufzer.
    Was sie im ferneren tat, vermag ich nicht zu sagen, denn ihre Kopfbedeckung, riesig wie ein Schild, verbarg mir ihr Gesicht und das meines lieben Samson für die ganze Dauer der Wiedererweckung. Diese war noch nicht ganz zu Ende, als der Hügel gewaltig hallte von Caudebecs Stimme.
    »Aufsitzen! Aufsitzen!« schrie er gebieterisch, nachdem er sich vorher, in der Gefahr, seiner Befehlsgewalt nicht so sicher gewesen war.
    »Monsieur de Siorac«, sprach Dame Gertrude, an mich gewandt, »leider muß ich meine Fürsorge beenden und mein Pferd besteigen. Darf ich mich wohl während des Rittes nach dem Befinden meines Kranken erkundigen?«
    »Madame, mit dem lebhaftesten Vergnügen werde ich verfolgen, wie unablässig Ihr Euch um meinen Samson kümmert«, erwiderte ich und grüßte.
    Das war von Herzen aufrichtig gesagt, denn soweit ich überhaupt eine Unvollkommenheit an meinem Bruder zu finden wagte, dann dies: bis zu unserer Reise hatte er sich ferngehalten jenem lieblichen und sanften Geschlecht, ohne welches die grünen Paradiesauen unseres Herrgotts ein öder Landstrich wären. Die Therapie, zu der Samson sich nun bereitfand, war beruhigende Genugtuung. Und nun ich Dame Gertrude so kraftvoll an seiner Genesung wirken sah und mein Bruder unter ihrem Atem so rasch wieder Leben gewann, begriff ich, daß er bisher nicht unempfindsam gewesen; nur hatte ihm vielleicht sein Los, ein Bastard zu sein, irgendwelchen heimlichen Groll gegen die Frauen eingegeben.
    Ich musterte ihn nicht gar zu offen, spähte eher aus den Augenwinkeln. Er schwang sich verträumt in den Sattel, dasGesicht genugsam entflammt, um den Anschein der ihm von mir angedichteten Krankheit zu erwecken. Denn er war wirklich im Fieber, einem Fieber allerdings, das nie heilt, außer unter dem Schnee der Jahre. Solange unser Ritt währte, sah ich auf seinen Wangen dieses lebhafte schöne Rot. Er verhielt sich stumm, bei gesenkten Augen, und mit seinen breiten Schultern und dem sich um den robusten Hals lockenden kupferfarbenen Haar wirkte er wie ein Erzengel auf den Fensterscheiben einer Papistenkirche. Hatte nicht Dame Gertrude ihn mit dem heiligen Michael verglichen? Beim Anblick dieser unschuldhaften Miene dünkte mir, daß Samson, eben erst erblüht für die Sinnengenüsse, sich ihrer lieber nicht allzu lebhaft bewußt werden wollte, damit sein hugenottisches Gewissen weniger in Schwierigkeiten geriet. Ich tat seiner naiven Heuchelei tunlichst nicht Abbruch und unterließ die kleinen Frotzeleien, mit denen ich ihn gern gestachelt hätte.
    So also – Samson träumend, ich heiter sinnend über die Zuträgnisse des Weges, und Dame Gertrude in beständigem Hin und Her, besorgt um den Kranken, aber auch um ihren Ruf, denn schon schwätzte man über sie – erreichten wir unbeschadet Lézignan, als es schon längst dunkel war und unsere Pferde endlich einmal erschöpft. In der Herberge
Zum Einhorn
, wo wir Unterkunft nahmen, füllte Baron Caudebec der Wirtin die Ohren mit epischen Berichten über die Vernichtung der Banditen. Ich kam darin kaum vor.
     
    Die Wirtin vom
Einhorn
(weiß einer, warum die Frauen in diesem Gewerbe so oft Witwe sind, vielleicht weil so viele Mannsbilder durch ihre Hände gehen und sie darum weniger Sorgfalt auf den eigenen Mann verwenden) versicherte mir am folgenden Tag, die Straße ab Lézignan sei eine der sichersten, da herrsche großer Verkehr, weil die Kaufleute, ob sie nun nach Lyon oder nach Marseille strebten,

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