In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
seinem Hunger gut Rechnung getragen.
Mein unschuldhafter Samson wurde am Tisch von Typhème arg beäugt; freier gingen ihre Wimpern diesmal auf und nieder, da ihr Vater abwesend war, auf Montolivet der vom Gesetz Mose auferlegten Muße frönte. Die Schöne musterte meinen lieben Samson und wurde von mir gemustert: ihre Wangen waren von lebhafterer Farbe, der Busen in heftigerer Bewegung, der kurze Atem nah dem Seufzer. Doch wie offen erkennbar ihre Gemütsregung auch war, Samson sah nichts, er war tief versunken in seine Glückseligkeit. Kaum hatte er das Essen hintergebracht, gewann er schwankend und unter Mühen sein Zimmer, wo er sich grad noch entkleiden konnte, um zwischen seine Laken zu kriechen.
Am nächsten Morgen holte ich ihn mit Gewalt aus dem Bett, um ihn zum vormaligen Bayle-Haus zu zerren, wo die Unserenin Montpellier ihren Gottesdienst abhielten. Luc und Miroul begleiteten uns, und die Sonne brannte so heiß, daß man auf den Steinen ein Ei hätte braten können. Während wir im Gleichmaß hinschritten, trug mein lieber Samson auf seinem schönen Antlitz lauter Kummerfalten. Das Psalmenbuch in der Hand, schritt er dem Tempel in einer Weise entgegen, als würde er für seine Unzucht zur ewigen Verdammnis verurteilt, denn er nahm die heiligen Gebote wortwörtlich. Da ich gegen seine hugenottische Strenge nicht ankam, wandte ich mich Luc zu und bat ihn, mir zu erklären, wieso er vom Papisten zum Reformierten geworden war. Himmel! was hatte ich da angerichtet! Er erbleichte, spähte entsetzt in die Runde, flehte mich mit bebender Stimme an, ihm solche Fragen nicht
coram populo
1 zu stellen. Woraus erkennbar, daß der Erbe von Meister Sanche trotz seiner jungen Jahre sehr umsichtig war.
Sehr zufrieden war ich’s, im Tempel so großen Andrang zu finden und Volk von so unterschiedlichem Rang. Da waren Leineweber, Schuster, Krämer, auch Ärzte, Schulmeister, begüterte Bürger und gar auch Adlige (erkennbar an ihrem Degen, wie Samson und ich). Welch ein Unterschied zu Sarlat, wo sich die Hugenotten seit der mißglückten Belagerung nirgends mehr offen zu zeigen wagten und sich weniger noch zu ihren Gottesdiensten versammelten. Hier nun hatten die Unseren ziemlich das Heft in der Hand, tönten großspurig laut, bedachten die Papisten mit bedrohlichen Reden. Mein Bruder und ich waren schon vor unserem Erscheinen weidlich bekannt, wegen unseres Mutes in den Corbières-Bergen. Als wir nach dem Gottesdienst die Diakone, die Ältesten und den Prediger begrüßt hatten, stellte uns letzterer, Abraham de Gasc geheißen und Ladenbesitzer, der mit Talglichten aus Lyon handelte, dieser frommen Versammlung vor. Wir hörten freundliche Komplimente, die ich auf okzitanisch beantwortete, damit ich von jedermann verstanden würde; dabei sprach ich auch für meinen Bruder, der in seiner strahlenden Schönheit stumm verharrte, dennoch aber alle Frauenherzen betörte. Denn zugegen waren einige hübsche Mädchen, die, weil in Montpellier geboren, nur sehr schön sein konnten; doch an so würdevollem Ort begaffte ich sie tunlichst nicht, allenfalls heimlich.
Luc, der uns die ganze Zeit freundschaftlich im Blick hatte, mit gewissem Stolz und Besitzergefühl, daß solche Berühmtheiten in seinem Hause wohnten, Luc nahm mich, als wir den Tempel verließen, beim Arm und bat, ich solle mich nach dem Mittagsmahl auf die Dachterrasse begeben, wo wir in Muße schwätzen könnten, ohne belauscht zu werden. Luc und ich wählten sogleich jene Steinbank, die das Dach des Treppenaufgangs in Schatten hüllte. Da musterten wir einander in kurzem Schweigen. Und nachdem ich Blicke bisher nur für Typhème gehabt, war ich nun überrascht, daß auch Luc sehr schöne, strahlende Augen hatte, deren geschwungene schwarze Wimpern mich an seine bezaubernde Schwester erinnerten.
Er wirkte sehr verwirrt. Da von schwächlicher Konstitution, weil er, anders als Samson und ich, nie den Umgang mit Waffen geübt hatte, ließ die Erregung seine zarten Glieder zittern, und er sprach mit leiser, wanker Stimme, jedoch in schöner, ausdrucksvoller Sprache, die das Französische mit dem Latein mengte.
»Monsieur de Siorac …«, hob er an, doch ich unterbrach ihn.
»Aber nicht doch!« sagte ich. »Wenn Euer hochrühmlicher Vater mich seinen Neffen nennt, bin ich Euer Vetter, und für Euch darum kurz und bündig Pierre.«
Er errötete wie ein junges Mädchen.
»Pierre, tausend Dank für Eure liebreiche Huld«, sprach er. »Niemanden meines Alters verehre
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