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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Abhandlung noch keinen Verleger gefunden hatte, weil der Druck sehr teuer war, der künftige Verkauf aber schleppend und ungewiß.
    Rondelet wohnte in der Rue du Bout-du-Monde (»Straße am Ende der Welt«), ein seltsamer Name für eine inmitten der Stadt gelegene Straße. In bequemer Nähe ragte das Collège Royal auf, in dem der Kanzler lehrte. Und bei Gott, das von Kreuzstockfenstern gezierte Haus des berühmten Arztes dünkte mir schön. Es war flankiert von einem schmalen Turm, in dem eine Wendeltreppe in die Obergeschosse führte.
    Fogacer blieb stehen, um an die Tür zu klopfen.
    »Dem Aussehen seiner Behausung nach ist unser Kanzler wohl recht betucht …«, sagte ich.
    »Das ist er«, bestätigte Fogacer lächelnd. »Und er wäre noch reicher, wenn er nicht den Tick hätte, alles Eckige durch runde Dinge zu ersetzen,
quadrata rotundis.
So war denn dieser kleine runde Turm einst quadratisch. Unser Kanzler ließ ihn abreißen und für teures Geld neu errichten. Denn er hat eine Vorliebe für Rundungen, inbegriffen die Brüste der Weiber.«
    Dies gefiel mir an ihm, und nun wußte ich, daß ich den Mann mögen würde. Als ich ihn dann zu Gesicht bekam, war ich auch nicht enttäuscht. Fogacer hatte ihn sehr gut porträtiert, als er von »untersetzter Statur, dickem Bauch und kurzen Gliedmaßen« sprach. Mir war sogleich klar, daß Meister François Rabelais ihn in seinem
Dritten Buch
unter den Zügen des Arztes Rondibilis gezeichnet hatte. Denn rund war nicht nur sein Leib, sondern auch das Gesicht, davon ein langer grauer Bart die Hälfte verdeckte. Seine breite gewölbte Stirn wirkte sehr schön, und er hatte haselnußbraune flinke Augen, einen lippigen leckerhaften Mund, einen stämmigen Hals und eine warme Stimme.
    »Fogacer«, sprach er umgänglich freundlich, »lassen wir die Komplimente. Hier ist ein Hocker, und auch Ihr, Siorac, nehmt Platz. Reden wir. Siorac, ich hatte nicht das Glück, Euern Herrn Vater kennenzulernen; als er am hiesigen Collège Royal Medizin studierte, war ich nicht in Montpellier; ich kehrte erst zurück, als er leidiger Umstände halber bereits fort war. Wie Euch bekannt, wurde er wegen Mordes verfolgt, dabei er sichin einem Duell gegen einen Junker, der ihn herausgefordert, nur eben verteidigt hatte. Nach alledem, was ich von Meister Sanche über Euern Herrn Vater erfuhr, lohte er vor Leben und Lernbegierde, was man auch Euch nachsagt, weshalb ich Euch zu sehen und Eure Kenntnisse auszuloten wünschte.«
    Hierauf sprach ich hundertfachen Dank, den der Kanzler mit einem Wink abkürzte, ehe er sich tief in einen großen Sessel lümmelte und mich gütig, jedoch auch durchdringend musterte.
    »Siorac«, sprach er, »Ihr habt das wache flinke Auge des Eichhörnchens, das hier und dort tausend Dinge erhascht, gute Ernte hält und sie in seinem Speicher sammelt. Weshalb ich denn nicht zweifle, daß Ihr eines Tages, wie François Rabelais es zu beherzigen gibt, ›ein Abgrund an Wissen‹ sein werdet. Doch merke ich, daß Ihr den Mund voller Fragen habt, die zu stellen die Höflichkeit Euch verbietet. Scheut Euch nicht, Siorac, nur keine Scheu! Frönt nach Belieben Eurer Eichhörnchenneugierde. Aber trefft eine Auswahl, die mir einleuchtet: Von all den Fragen, die sich hinter Euren verschlossenen Zähnen drängen, mögt Ihr nur eine einzige stellen, und auf die werde ich antworten.«
    Worauf ich prompt sagte:
    »Herr Kanzler Rondelet, hier meine Frage: Wart Ihr das Vorbild, nach dem François Rabelais seinen Rondibilis gestaltete?«
    »Siorac, seid Ihr gut im Fechten?« fragte der Kanzler.
    »Schlecht bin ich nicht, und vorzüglich würde ich sein, wäre ich in der Verteidigung so gut wie im Angriff.«
    »Eben das meine ich, wenn ich Euch höre«, sagte Rondelet mit einem Lächeln. »Um mich zu entblößen, habt Ihr Euch selbst entblößt.«
    Fogacer tat einen kleinen Lacher und wölbte seine Braue.
    »Eure Gemütsart habe ich bereits durchleuchtet«, sagte Rondelet. »Primo, Ihr seid ein flinker Mensch und von edlem Wesen. Secundo, Ihr schreitet im Leben kühn voran, wißt Hiebe auszuteilen und auch einzustecken. Tertio, Ihr habt Selbstvertrauen, was gut ist, und habt großes Vertrauen auch in die anderen, was nicht klug ist. Quarto, Eure Neugierde ist mehr auf die Menschen denn auf die Dinge gerichtet.«
    »Haha!« lachte Fogacer, »das trifft haargenau!«
    »Herr Kanzler, ich bin nicht sicher, ob ich Euer
quarto
recht verstanden habe.«
    »Nun, ich meine: Ihr hättet mich über einen

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