In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
daß diese edle, liebreizende Dame jetzt blutige Tränen weint bei dem Gedanken, Euch verloren zu haben?«
Wie ein Irrer stürzte Samson in sein Zimmer, kam mit dem Wams zurück, das er sich im Nu überstreifte, und jagte die Treppe hinunter.
»Teufel! wohin so eilig?« rief ich. »Wartet, ich komme mit!«
»Nicht doch!« sagte Fogacer, der seine Tür aufgetan hatte und plötzlich vor mir stand. »Nicht doch, mein lieber Siorac! Ihr werdet Eurem hübschen Bruder auf diesem Gang, zu dem Ihr ihn mit soviel brüderlicher List gedrängt, nicht folgen. Ihr habt im Augenblick ganz andere Speisung zwischen die Zähne zu nehmen denn jene, der Ihr hinterdrein seid. Mein Sohn, heute wird nicht eingefädelt. Und was die Nadel betrifft, auf die Ihr so großen Appetit zu haben scheint – ein Prediger Eures Glaubens wünschte sie sich
aut formosa minus aut improba minus
1 .«
»Improba!«
sagte ich trotzig.
»So würde Euer Prediger sagen, nicht ich, der ich weniger streng bin und Euch in dieser Sache von aller Sünde freispreche. Doch heute will ich Euch einer Person männlichen Geschlechts zuführen, die bärtig ist, behaart, von platter Nase, buckliger Stirn, untersetzter Statur, dickem Bauch und kurzen Gliedmaßen, also mitnichten schön, gewiß, doch wer schon dürfte rechtens von sich sagen:
Ingenio formae damna rependo meae
2 . Es ist einer der berühmtesten Mediziner des Königreiches und einer der besten.«
»Rondelet!« rief ich, vor Freude außer mir. »Rondelet ruft mich zu sich!«
»Ipse«
, sagte Fogacer.
»Gulielmus Rondeletius, venerandus doctor medicus et medicinae professor regis et cancellarius in Schola Monspeliensi
3
.«
»Aber ist er nicht Hugenotte? Wieso habe ich ihn heute morgen nicht im Gottesdienst gesehen?«
»Ihn peinigt seit drei Tagen ein anhaltender Bauchfluß, begleitet von großem Kopfweh. Doch hat er sich bis heute mittag ein klein bißchen erholt und möchte Euch, ehe er nach Toulouse aufbricht, noch eilig in Augenschein nehmen.«
»Was! er verreist?« rief ich. »Kaum erst genesen, begibt er sich auf eine lange, anstrengende, gefährliche Reise?«
»Ei gewiß, ein Irrsinn! Aber Rondelet ist ein Mensch von unendlicher Güte, und seine beiden Schwäger drängen ihn seitMonaten, er möge nach Toulouse kommen und ihre Angelegenheiten richten; also hat er sich entschieden zu reisen.«
Fogacer nahm mich beim Arm und zerrte mich hinaus auf das heiße Pflaster der Straße.
»Siorac«, sagte er, »Ihr schreitet aus wie ein Landmann, viel zu rasch. In der Stadt muß man schlendern, schauen und alles genießen, was sich auf den Straßen tut, ein waches Auge für die Läden, Equipagen und Passanten haben. Ist es denn nicht ein vergnügliches Schauspiel, all die Leute hier zu beobachten, in Alter und Stand so verschieden und ein jeglicher ganz bei seinen Dingen? Wie schön und bunt die Menschheit dieser Welt, und als Mensch sollte man sie auch lieben und sorgfältig studieren, beginnend bei unserem vergänglichen Leib, der allein schon eine Welt ist, die wir grad erst zu erforschen beginnen. Wenn wir dem Menschen Erleichterung bringen wollen von seinen unzähligen Übeln, gilt es da nicht beim Leib anzufangen? Habt Ihr Rondelets denkwürdigen
Methodus ad curandos omnes morbos corporis humani
1 gelesen, zu dem ich Euch die Notizen gab?«
»Ich habe das Buch
De morbo italico
2 gelesen und studiert.«
Fogacer brach in schallendes Lachen aus, und da sich die Leute nach uns umwandten, fuhr er in Latein fort:
»Junger Siorac, sogar in deinen Studien bist du ganz der Venus verfallen! Und beginnst da, wo der Packsattel dich zu scheuern droht. Aber das ist gut so. Vielleicht wünscht Rondelet, daß ich dich in seiner Gegenwart auslote.«
»Mich ausloten?«
»Erschreckt nicht. Nur ein paar kleine Fragen. Keine Prüfung und keine Disputation.«
Für den Rest des Weges blieb ich stumm, innerlich sehr bewegt, daß ich einem Manne gegenübertreten würde, den ich hoch über Monsieur de Joyeuse stellte, da er die Kunst zu heilen verstand, nicht seinesgleichen zu töten. In Gedanken war ich ganz bei den Fragen, die Fogacer mir vielleicht vor ihm stellen würde; so spähte ich nicht nach den jungen Mädchen, sondern hielt den Blick starr auf das Pflaster gerichtet und riefmir in Erinnerung, was ich über die
italienische Krankheit
gelernt hatte. Wie zufrieden war ich da, daß ich
De morbo italico
Zeile für Zeile abgeschrieben hatte, Fogacers Aufzeichnungen folgend; ich wußte, daß diese berühmte
Weitere Kostenlose Bücher