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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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zu verheizen. Vor Bruckner hatte schon Mahler versagt. In dieser Stimmung würde
keiner zum gewünschten Ergebnis führen. Er ließ sich wieder in den Sessel
fallen, umkrampfte die Lehnen, bohrte die Fingernägel hinein. Tief ein- und
ausatmen, dachte Julius, ist doch bloß eine Suppe. Was ist das schon? Doch bloß
gequirlte …
    Herr Bimmel sprang ihm auf den Schoß und drückte sein Köpfchen gegen
Julius’ Brust. Er wollte gestreichelt werden. Julius fuhr mit beiden Händen an
den Flanken entlang. Der Kater streckte den Schwanz kerzengerade empor und
presste die Stirn fester an Julius. Dann begann er zu tritteln. Wie er es als
Kind bei der Mutter gelernt hatte, um den Milchfluss anzuregen. Kleine,
drückende Bewegungen mit den Vorderpfoten. Er tat dies nur, wenn er sich wohl
fühlte. Nach einem letzten Tritt rollte Herr Bimmel sich auf Julius’ Schoß
zusammen, begann zu schnurren und hob das Köpfchen. Julius wusste, dass er
besser über eine Suppe sinnieren sollte – aber der Kater ging vor. Er
konnte dem kleinen Pelztier schließlich nicht erklären, warum es auf
Streicheleinheiten verzichten musste. Also begann er, Herrn Bimmel zu kraulen,
genau zwischen den schwarzen Ohren, bis vorne über das Näslein. Das Schnurren
wurde tiefer und gutturaler. Julius kam ins Nachdenken. Der Kater würde keine
Probleme haben, eine Suppe zu erfinden. Er würde einfach alles hineinschmeißen,
was er mochte. Fertig. Huhn würde drin sein, klar. Und Milch, oder besser:
Sahne. Das Schnurren begann einer eigenen Melodie zu folgen. Katze müsste man
sein, dachte Julius, dann wäre das Leben so einfach. Er würde die Suppe
natürlich viel raffinierter machen. Er würde zum mit Sahne verfeinerten
Hühner-Consommé – ach besser: Bressehuhn-Consommé – Kohlrabi, Möhren,
Sellerie, Paprika und Tomaten geben. Klein gewürfelt.
    Der ganze Kater schien nun zu schnurren. Wohlig und zufrieden. Mit
der Welt im Einklang, wie es wohl nur ein Tier sein konnte.
    Das wäre dann schon eine spannendere Suppe als die einfache
Herr-Bimmel-Variante, grübelte Julius. Aber sternekochreif wäre auch diese
Kreation nicht. Dafür fehlte das Geniale, das Unerwartete. Herr Bimmel
würde … Ja! Herr Bimmel würde bestimmt noch Äpfel hineingeben. Weil er die
so gerne aß. Julius hatte noch von keiner anderen Katze gehört, die diesen
Geschmack teilte. Aber Herr Bimmel liebte sie, schön klein geschnitten
natürlich. Als Katze von Welt hatte man für so was seine Leute. Also
Äpfel … dann würde noch etwas Zucker dazugehören und Zitronensaft. Und
Pfeffer! Ja, das wäre eine Suppe! Natürlich müssten
Äpfel verwendet werden, die jetzt im Herbst reif waren und einen guten Namen
hatten.
    Herr Bimmel schnurrte genüsslich. Die Hinterläufe bewegten sich, als
jage er eine große, appetitliche Maus.
    Ein grüner Apfel mit viel Säure. Ja, dachte Julius, ich würde einen
Champagner Renette nehmen. Eine gute, alte französische Sorte. Fest, saftig,
erfrischend. Das wäre eine Kreation! Sie würde
»Pikante Champagner-Renette-Suppe« heißen. Natürlich würde noch ein kleiner
Schuss Champagner dazugehören.
    Das wäre wirklich raffiniert!
    Der Kater drehte sich auf den Rücken und präsentierte sein
Bäuchlein, das im Gegensatz zum sonstigen Fell weiß war und sich wie eine
Schäfchenwolke bis über die Brust zog.
    Julius konnte es nicht fassen. Das Menü war komplett! Endlich! Er
blickte auf den Kater und herzte ihn. Da hatte er so lange nach der passenden
Musik gesucht, wo er doch den besten Solisten von allen in der Familie hatte!
Es hatte seiner wahren Lieblingsmusik gebraucht, um endlich eine Suppe zu
kreieren: Katzenschnurren. Und Herr Bimmel, seines Zeichens ausgebildeter
Bariton, war ein echter Meister dieser Kunst. Dafür würde es jetzt Käse-Rollis
geben. Das Essen der Stars.
    Bevor Julius die Suppe das erste Mal kochte, wollte er
Kraft tanken, sich das Hirn durchpusten lassen. Er hatte einen Ort dafür, und
er war auf dem Weg. Es hieß nur zweimal rechts Abbiegen von der Landskroner
Straße, dann folgte Wildnis. Die einsamste Wildnis des Ahrtals zumindest. Dort
war weder mit bekannten Gesichtern noch mit unbekannten zu rechnen. Am ehesten
noch mit pelzigen, aber die waren so scheu, dass sie wegsprangen, -rannten oder
-hoppelten.
    Julius blickte zum Seitenfenster hinaus, zu den Pfeilern der
Autobahnbrücke, die das Ahrtal überspannte. Die A61 toste darüber, oben
in der Ferne. Kein Anblick, den Ahrschwärmer schätzten. Wer

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