In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück
ziemlich entgeistert an.
»Wir dachten, wenn du mal was Ablenkung brauchst«, sagte meine Mutter, und mein Vater sagte: »Du weißt schon, Musik ist gut für die Seelenhygiene.«
»Mit den Büchern war es gar nicht so einfach«, sagte meine Mutter und seufzte. »Jedes zweite Buch, das ich im Laden in der Hand hielt, handelte von einer jungen Witwe, die erst ganz traurig über den Tod ihres Mannes ist, aber dann einen neuen Mann findet. Das kam mir vor wie der blanke Hohn. Aber selbst, wenn keine Witwe drin vorkam: Jedes, wirklich jedes Buch handelte von der Liebe!«
»Ich wollte dir viele blutige Thriller mitbringen, aber deine Mutter meinte, das würde dich im Augenblick nur auf dumme Gedanken bringen.« Mein Vater tätschelte meine Hand. »Deshalb musste die Buchhändlerin uns beraten. Sie hat uns diese hier ans Herz gelegt.«
» Ich bin hier bloß die Katze ?«
»Ja, darin geht es um eine Katze – keine Liebesgeschichte drin.«
»Aha. Sehr umsichtig. Essen ist fertig .«
»Ein Kochbuch. Keine Liebesgeschichte.«
»Grundlos glücklich?«
Meine Mutter nickte. »Ja, das ist wohl mehr was Esoterisches. Also, darin geht darum, dass man auch glücklich sein kann, wenn man gerade nicht so eine gute Phase hat. Verstehst du?«
»Ja, grundlos glücklich eben!«, sagte ich und las den Klappentext. Vielleicht sollte ich mich auch aufs Bücherschreiben verlegen, mal schauen, möglicherweise waren ja andere Titel noch frei, grundlos verheiratet vielleicht oder grundlos gesund . Das würden sicher Megabestseller werden.
Am vierten Tag meines Krankenhausaufenthaltes war es dann so weit. Über Nacht begriff ich ein paar fundamentaleWahrheiten. Die erste: Auch wenn man sich hundelend fühlt: Es geht immer noch eine Nuance schlechter. Die zweite: Karl war tot und würde nicht wieder lebendig werden. Die dritte: In einem Krankenhaus sind nachts alle wach, außer denen, die so laut schnarchen, dass sonst keiner schlafen kann.
Am nächsten Morgen griff ich nach der Mandoline. Meine Bettnachbarinnen waren hingerissen (die eine schlief ein, die andere weinte vor Rührung), und es versammelten sich auch ein paar Patienten von den Nachbarzimmern in der Tür. Fortan wurde ich alle paar Stunden genötigt, etwas zu spielen, und die Konzerte waren gut besucht, auch das Pflegepersonal und die Ärzte schauten gern mal bei uns in Zimmer 311 vorbei. Besonders angetan hatten es den Leuten schwermütige russische Weisen, in denen wilde Ponys über weite Steppen galoppierten und Petruschka sich verbotenerweise mit Katinka an einer Birke traf. (Keine Sorge, ich sang nicht, die Mandoline spielte Solo, der Text war sozusagen in der Melodie verborgen.)
Lang konnte ich nie spielen, weil die Hand mit der Tropfnadel dann heiß und dick wurde und schmerzte, aber der tiefe Schlaf meiner Bettnachbarin nach einer meiner musikalischen Darbietungen entschädigte mich dafür mehr als genug. Deren Familie schaute nämlich dann nur zur Tür herein und flüsterte: »Dem Omma schläft der Schlaf dem Gerächten, siehste, Scholiene, dann kommen wir besser morgen noch mal wieder.«
Am siebten Tag kam der Apotheker mich besuchen. Er sagte, er habe einen Freund in der Chirurgie liegen, und wo er ja schon mal da gewesen sei, hätte er doch auch gleich mal bei mir vorbeigucken können.
Ich freute mich ehrlich, ihn zu sehen und bedauerte einen Moment lang, dass ich meine Haare nicht gewaschen hatte,aber dann dachte ich, dass ich beim letzten Mal auf jeden Fall noch schrecklicher ausgesehen hatte, mit der ganzen Hundekacke an den Schuhen.
»Woher wussten Sie denn, dass ich im Krankenhaus liege?«, fragte ich.
»Ich habe deine Schwester gefragt«, sagte der Apotheker und breitete seine Mitbringsel auf der Bettdecke aus. Dabei strahlte er über das ganze Gesicht. »Ich dachte, wir tun etwas für dein Aussehen. Diese Krankenhausluft ist gar nicht gut für den Teint. Da hätten wir ein sanftes Peeling, einen wunderbaren Blütenreinigungsschaum – rein biologisch –, ein Gesichtswasser und eine Feuchtigkeitsmaske von La Mer, Augencreme von Louis Widmer, eine Tagespflege sowie eine reichhaltige Nachtcreme mit besonders feiner Textur.«
Ich war sprachlos.
»Ja, ich weiß, das kostet ein Vermögen«, sagte der Apotheker. »Aber du kannst es ruhig annehmen, ich sitze ja direkt an der Quelle.« Er klopfte sich vergnügt mit den Fingerspitzen auf die Wangen. »Was man mir auch ansieht, wie ich finde. Oder hättest du gedacht, dass ich schon einunddreißig
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